Mozart, Wolfgang Amadeus
Konzert für Flöte und Orchester D-Dur
Partitur/Ausgabe für Flöte und Klavier
Gut ein Dutzend Ausgaben dieses Konzerts dürften derzeit erhältlich sein, doch diese hier ist etwas Besonderes. Die Quellenlage ist immer noch dieselbe wie bei der Neuen Mozart Ausgabe von 1981, das heißt es gibt zu diesem Konzert leider nur mehrere, in unterschiedlichem Maß fehlerhafte (bzw. zuverlässige) Abschriften. Anders aber als die NMA, deren Editions-Richtlinien auf eine möglichst einheitliche Textdarstellung zielen, legt Henrik Wiese, der Herausgeber dieser Neuausgabe, Wert darauf, mehr vom Informationsgehalt der Vorlagen sichtbar zu machen.
Das Ergebnis seines erneuten Quellenvergleichs ist ein Text, der vom Benutzer eigene Entscheidungen verlangt. Das scheint mir grundsätzlich sinnvoll, da man mangels Autograf oder Erstdruck nie wirklich sicher sein kann, was Kopistenfehler ist und was vielleicht doch auf Mozart zurückgeht. Den Vorteil, dass Partitur und Kritischer Bericht der NMA online verfügbar sind, sollte man in diesem Zusammenhang zu Vergleichszwecken unbedingt nutzen. Die sich aus der Revision ergebenden Differenzen zur NMA betreffen nur unwesentlich den Notentext selbst, mehr dessen Bezeichnung, also Artikulationsarten und gelegentlich Dynamik und Verzierungen. Dazu gehört z.B. auch die Übernahme von Staccato-Punkten und -Keilen ein Unterschied, der von den Editions-Richtlinien der NMA unterdrückt wird.
Während im ersten Satz vorwiegend nicht angeglichene Parallelstellen zur Diskussion stehen, ist im zweiten Satz der Hinweis auf den in der Oboenfassung nur als Steigerung zu Beginn der Reprise vorkommenden Schleifer interessant. In der Flöten-Fassung kommt er normalerweise, vermutlich von Kopistenhand ergänzt, häufiger vor. Ob diese Wiederholung inflationär oder thematisch wesentlich ist, muss (darf) man jetzt selbst entscheiden. Interessant sind auch die Überlegungen zur dynamischen Anlage der Takte 8 und 9, bei deren Beurteilung das Fehlen einer besser autorisierten Vorlage besonders deutlich wird. Im dritten Satz allerdings könnten die Artikulations-Varianten im Thema richtige Stolpersteine! doch dazu führen, dass man lieber beim Gewohnten bleibt und zwei 16tel gebunden, zwei gestoßen spielt.
Der auf der neu erstellten Partitur basierende Klavierauszug von Jan Philip Schulze hat den großen Vorteil, dass er auf Durchsichtigkeit und angenehme Spielbarkeit angelegt ist. Er ist durch das Zusammenfassen der einzelnen Instrumentalstimmen von den Ergebnissen der Quellenbetrachtung weniger betroffen. Zwei Details fielen mir auf: In Takt 5 ist die dreifache Terz h entstanden durch den (verständlichen) Wunsch, den Dezimensprung zu vermeiden nicht mit der Partitur zu vereinbaren, und in Takt 2 des Rondos ist das punktierte Achtel wohl doch nur ein Schreibfehler der Quelle, denn an den Parallelstellen und in der Oboenfassung sind es immer nur glatte Achtel.
Vielleicht fragt man sich jetzt, ob die vom Herausgeber angebotene Lesarten-Vielfalt mehr als nur eine Ansammlung von variierenden Notationsweisen und Schreibfehlern darstellt. Lässt sich bei dieser Quellenlage, bei der z.B. nicht einmal bekannt ist, welchen Anteil Mozart an der Umarbeitung der Solostimme hatte, auf diese Weise wirklich mehr Mozart herausdestillieren? Man sollte es auf einen Versuch ankommen lassen!
Ursula Pesek