Caldara, Antonio
Konzert d-Moll
für Violoncello solo, 2 Violinen und B. c., Partitur
Wagnerische Assoziationen führen in die Irre: Hinter der Edition Walhall verbirgt sich ein Verlagsprogramm, das zum großen Teil Raritäten des 17. und 18. Jahrhunderts enthält. Einmal mehr wird deutlich, dass das, was wir üblicherweise Repertoire nennen, in Wahrheit nur die Spitze eines ungeheuren Eisbergs ist, dessen größter Teil nach wie vor in Archiven und Bibliotheken schlummert und allein mittels Forscherdrang und Interpretenneugier sichtbar gemacht werden kann. Zweifellos hat die Alte-Musik-Bewegung das Verdienst, viele Musiker hervorgebracht zu haben, die beide Tugenden in sich vereinen.
Zu diesen zählt der Cellist Markus Möllenbeck, ehedem Mitglied des Ensembles Musica Antiqua Köln, heute einer der gefragtesten Barockcellisten und zudem erfolgreich als Pädagoge an der UdK Berlin sowie auf zahlreichen Kursen und Akademien. Dass ihm die Erweiterung des Repertoires durch lohnende Fundstücke aus älterer Zeit ebenso am Herzen liegt wie deren lupenreine Edition, verdeutlichen die beiden vorliegenden Bände, nicht die ersten, die Möllenbeck in der Edition Walhall unter dem Motto Il Violoncello concertato herausbringt Konzerte von Hasse und Hertel liegen bereits vor , und hoffentlich auch nicht die letzten!
Im direkten Vergleich beider Werke überwiegen die Unterschiede: Der Venezianer Antonio Caldara war zwei Generationen älter als Johann Wilhelm Hertel und verbrachte sein Leben im italienisch-süddeutschen Kulturraum, mithin auf einem anderen Kontinent als der in Eisenach geborene Hertel, standen doch die ästhetischen Grundkonzepte beider Regionen einander diametral gegenüber. Möglicherweise schrieb Caldara sein Konzert für den cellobegeisterten Diplomaten Rudolf Franz Erwein von Schönborn, in jedem Fall fand sich die von einem Kopisten erstellte Handschrift im Pommersfeldener Archiv der Grafen zu Schönborn-Wiesentheid. Stilistisch orientiert sich das Werk an einer Linie Corelli-Vivaldi. Dem strengen, in Dacapo-Form gehaltenen Kopfsatz folgen ein a-Moll-Siciliano und ein fugierender Schlusssatz, in dem das Solocello über weite Strecken nur vom Continuo begleitet kontrastierend zum Fugato den ungebundenen Concertato-Stil vertritt. Spieltechnisch bleibt der Solopart im üblichen Rahmen des frühen 18. Jahrhunderts, als höchster Ton erscheint einige Male das eingestrichene b.
Einer anderen Welt begegnen wir in dem 1759 entstandenen, technisch wie musikalisch anspruchsvollen Cellokonzert des langjährigen mecklenburg-schwerinischen Hofmusikers Johann Wilhelm Hertel. Der vielseitige Musiker stand von Jugend an in Verbindung zu führenden Dresdner und Berliner Musikern seiner Zeit. Vor allem die Instrumentalmusik Carl Philipp Emanuel Bachs bildete ein wichtiges Vorbild, ja, in Tonart und Gestik mutet Hertels Konzert wie eine direkte Replik auf Bachs einige Jahre älteres a-Moll-Cellokonzert an. Herausgeber Möllenbeck verweist in seinem Vorwort indes zu Recht auf die verglichen mit Bachs Schroffheiten mildere Tonsprache Hertels, wobei die Schlussfolgerung, diese als fast schon klassisch zu bezeichnen, mit einem kleinen Fragezeichen versehen werden mag: Nicht zufällig erfolgte die Ausprägung der Klassik als formbildender Kategorie weitab von Berlin, daher verstellt es den Blick auf die Eigenständigkeit der berlinisch-norddeutschen Musik um 1750, definiert man Klassik als Endziel ihrer Entwicklung.
Verlag und Herausgeber sind herzlich zu loben, Cellistenkollegen seien ebenso herzlich zum Zugreifen auf die lohnenden Stücke animiert.
Gerhard Anders