Wolf, Ernst Wilhelm
Konzert B-Dur für Viola und Orchester
Partitur / Klavierauszug und Solostimme
Es ist längst ein Allgemeinplatz, dass Musikgeschichte nicht allein von den großen Komponisten geschrieben wird, sondern zu weiten Teilen auch von jenen zahlreichen Kleinmeistern, deren Bedeutung wegen der überragenden Strahlkraft Einzelner gern vergessen wird. Wer kennt zum Beispiel noch Ernst Wilhelm Wolf? Als Klavierlehrer, Konzertmeister, Organist und schließlich Hofkapellmeister von Herzogin Anna Amalia in Weimar gehörte er zu den führenden Musikerpersönlichkeiten der Goethe-Zeit. Als solcher stand er in engem Kontakt mit den Mitgliedern des Weimarer Musenhofs, zu denen neben Goethe auch Herder oder Wieland gehörten. Franz Benda war sein Schwiegervater und Johann Friedrich Reichardt sein Schwager. Ernst Ludwig Gerber zählte ihn nicht nur gegenwärtig unter unsere klassischen und besten Komponisten in jedwegem Fache eine Einschätzung, mit der er nicht alleine war: Als Friedrich der Große einen Nachfolger für C. Ph. E. Bach am Potsdamer Hof suchte, wurde der Posten zunächst Wolf angeboten. Der lehnte freilich ab und blieb lieber im beschaulichen Weimar.
Von Wolfs Werken (darunter zahlreiche Singspiele, Klavierkonzerte, Sinfonien, Streichquartette und Sonaten) sind bis heute die wenigsten veröffentlicht. Umso begrüßenswerter ist deshalb die jetzt erschienene Erstausgabe eines Bratschen-Konzerts in B-Dur bei der Kölner Edition Dohr (ein weiteres in F-Dur ist bereits auf dem Markt). Sie folgt der einzigen erhaltenen Quelle, einem Stimmensatz aus der Universitätsbibliothek Breslau, der vermutlich vom Komponisten selbst stammt. Wolfgang Birtel hat die Vorlage mustergültig für den praktischen Gebrauch umgesetzt. Der Klavierauszug enthält neben der Solo-Stimme auch drei kurze Kadenzvorschläge. Das zur Partitur gehörende Aufführungsmaterial ist leihweise erhältlich.
Musikalisch zeigt das Konzert, das spätestens 1778 geschrieben wurde, einen Komponisten am Übergang vom barocken zur klassischen Idiom: Formal folgt es noch klar dem alten Ritornell-Typus (der sich im dritten Satz freilich schon zum Kettenrondo entwickelt hat), tonale Kontraste oder gar thematische Arbeit fehlen weitgehend. Die Orchesterbesetzung verzeichnet neben Streichern lediglich zwei (meist colla parte eingesetzte) Oboen und einen bezifferten Generalbass, aber keine Hörner.
Das musikalische Vokabular ist dagegen schon ausgeprägt (früh-) klassisch: Vor allem der innige zweite Satz überrascht mit unerwarteten harmonischen Ausweichungen und durchweg empfindsamer Rede. Der Solo-Part ist mit seinen vielfältigen Spielfiguren und Figurationen ausgesprochen dankbar und auch für fortgeschrittene Schüler durchaus zu schaffen. Der Vergleich mit dem Telemann-Konzert im (ansonsten sehr informativen) Vorwort ist aber trotzdem ein bisschen anmaßend man hat es doch eher mit einem Wolf im Schafspelz zu tun. Als willkommene Repertoire-Ergänzung (und Horizont-Erweiterung) tut das dem Werk aber keinen Abbruch.
Joachim Schwarz