Bruns, Victor

Konzert

für Oboe, Fagott und Streichorchester op. 66

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Hofmeister, Leipzig 2004
erschienen in: das Orchester 05/2006 , Seite 81

Zur kompositorischen Hinterlassenschaft von Victor Bruns (1904- 1996) – einer Berliner Fagottlegende – gehören neben seinen zahlreichen Kompositionen für Fagott auch die 2004 posthum im Erstdruck bei Hofmeister erschiene Sonatine für Fagott und Klavier op. 96 und das Konzert für Oboe, Fagott und Streichorchester op. 66. Victor Bruns wurde 1904 noch zur Zarenzeit als Sohn deutscher Eltern in Finnland geboren. Er studierte in Leningrad am dortigen Konservatorium Fagott und Komposition. Nach seinem Studium war er bis zu seiner Ausweisung als Reichsdeutscher im Jahr 1931 als Fagottist im Orchester der Leningrader Staatsoper tätig. Danach wurde er 1940 an die Volksoper Berlin engagiert und erhielt 1945 nach russischer Gefangenschaft eine Anstellung an der Berliner Staatsoper, der Staatskapelle Berlin.
Im Mittelpunkt seines kompositorischen Schaffens stehen seine zahlreichen Instrumentalkonzerte für nahezu alle Orchesterinstrumente, davon alleine vier Fagottkonzerte. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Kammermusik, u. a. mit drei Sonaten für Fagott und Klavier sowie Zwei Stücke für Kontrafagott und Klavier op. 51 und Sechs Stücke für Kontrafagott und Klavier op. 80. Außerdem noch drei Suiten für drei Fagotte und Kontrafagott.
Seine Tonsprache und sein musikalischer Stil wurden geprägt durch seine erklärten Vorbilder Prokofjew und Strawinsky, er orientierte sich kompositorisch aber auch bei Hindemith und Bartók. Entscheidend und von großer Bedeutung waren für ihn seine pädagogischen Kontakte zu Boris Blacher, dessen Unterrichtslehre ihn formte und anregte. Nach eigener Aussage war außerdem das Orchesterspiel für ihn sehr wichtig: „Dies war der beste Unterricht, den ich haben konnte.“ Seine orchestralen Klangerlebnisse gaben ihm die Möglichkeit, „die typischen Eigenarten, Klangfarben und Möglichkeiten der Instrumente herauszustellen“.
Nachdem der englische Fagottist Richard Moore, ein Schüler von William Waterhouse, Ende der 80er Jahre den Bau eines Tenorfagotts in Auftrag gegeben hatte, bestellte er bei Victor Bruns ein Trio für Tenorfagott, Fagott und Kontrafagott. In der kompositorischen Vorbereitung und zu Studienzwecken für dieses Trio entstand als Vorstudie die Sonatine op. 96 für Tenorfagott. Um die Aufführungsmöglichkeiten zu verbessern und zu erweitern, hatte Bruns alternativ zur Tenorfagott-Stimme einen Fagottpart (eine Quarte tiefer) hinzugefügt. Leider wurde bei dieser Veröffentlichung auf die Beifügung der Tenorfagott-Stimme verzichtet.
Bei der Sonatine handelt es sich um ein dreisätziges Werk (Allegro sostenuto, Andante tranquillo und Allegro animato). Der Schwierigkeitsgrad ist mittelschwer, die Komposition ist instrumentengerecht, musikantisch und mit überschaubaren, prägnanten, frischen Rhythmen geschrieben, somit auch bestens für den Unterricht geeignet.
Das Konzert für Oboe, Fagott und Streichorchester op. 66 (aufgrund der Opuszahl komponiert Anfang der 80er Jahre) stellt sich in ähnlicher Weise dar. Auch hier zeigt sich sein sehr spezifischer Kompositionsstil, der seine Wurzeln unüberhörbar in der russischen Tradition hat. Die Musik ist durch und durch musikantisch und gibt den beiden gleichberechtigten Stimmen Gelegenheit, die kompositorischen Gedanken dieser konzertanten Musik auszuleben. Frage und Antwort halten sich hierbei die Waage, punktierte Thematik, perlende Sechzehntel- und Triolenketten lösen sich im konzertierenden Zwiegespräch ab und ergeben ein überzeugendes Bild dieser dreisätzigen Komposition.
Die originale und typische Notierungsweise der beiden Werke ist, wie bei Bruns üblich, durch die häufige Tolerierung enharmonischer Verwechslungen unkonventionell, kompliziert und teilweise verwirrend. Trotzdem: ein anspruchsvolles, aber auch ein dankbares Werk und damit zur Aufführung bestens geeignet.
Beide Neuerscheinungen sind hinsichtlich des Drucks und der Übersichtlichkeit des Notentextes von hoher Qualität. Das Aufführungsmaterial (Streichquintett/ Streichorchester) steht leihweise zur Verfügung.
Alfred Rinderspacher