Kater, Michael H.

Komponisten im Nationalsozialismus

Acht Porträts

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Parthas, Berlin 2004
erschienen in: das Orchester 03/2005 , Seite 72

Auch dem dritten Buch, das der kanadische Historiker Michael H. Kater dem Thema Musik und Musiker im „Dritten Reich“ widmet, sind Aufsehen und Auseinandersetzungen sicher. Nach der Sozialgeschichte von Jazz (Gewagtes Spiel. Jazz im Nationalsozialismus, siehe Besprechung in Das Orchester 2/97) und „ernster“ Musik (Die missbrauchte Muse, Das Orchester 4/99) werden nun in acht Porträts Beziehungen zwischen Komponisten und NS-Regime dargestellt.
Was dazu bislang biografisch vorliegt, unterscheidet sich bezüglich Umfang und Aktualität: Während Strauss oft und Hartmann jüngst mit Monografien bedacht wurde, bleiben Pfitzner und Egk eher im Verborgenen. Deshalb kann Katers Buch zum einen für sich in Anspruch nehmen, durch Quellenstudien und Gespräche die Lebensbilder auf den neuesten Stand gebracht zu haben. Zum anderen gelingt es ihm – Lebensumstände und Verhaltensweisen, Schaffensbedingungen und Arbeitsergebnisse dieser Komponisten thematisierend –, Grundsätzliches über Anpassung und Widerstand, über Exil und innere Emigration während der Zeit des Nationalsozialismus und nach 1945 herauszustellen.
Dabei offenbart die brillante sozialhistorische Studie über das Verhältnis von Kunst und Politik erstaunliche Brüche und Widersprüche in Biografien und Werken wie auch in der Struktur und Reaktionsweise eines totalitären Staates. Als wesentliche Werte und Kriterien erkennt Kater das „Deutsche“: Schon Wagner bezieht nationale Identität und Musik darauf. Pfitzner grenzt atonale Kakofonie und „jüdischen“ Jazz demzufolge als nicht-deutsch und art-fremd ab. Wie Goebbels! Schönberg und Weill werden an Axiomen wie „absolute Musik“ und „elitäres Komponieren“ ebenso gemessen wie Orffs „völkische Moderne“ und der „ambivalente Neutöner“ Egk.
Dabei scheint für den ästhetischen und stilistischen Standort jedes Komponisten ein Werk exemplarisch zu sein, an dem sich überdies ein Beziehungsgeflecht zu Interpreten und Öffentlichkeit, zu Musikinstitutionen und Propaganda auftut, das über politische Vereinnahmung oder Verurteilung, über persönliche Haltung und offizielle Wertungen Auskunft gibt. Das gilt für Egks Peer Gynt wie für Hindemiths Mathis der Maler. Das zeigen Weills Dreigroschenoper und Hartmanns Simplicius Simplicissimus. Orffs Carmina Burana zählen dazu und Pfitzners Palestrina, ebenso Schönbergs Modernität (dessen Erwartung Kater Zemlinsky zuschreibt) und die Popularität von Richard Strauss. Eine Gruppierung oder Polarisierung in Juden und Nicht-Juden, Traditionalisten und Modernisten, Nazi-Sympathisanten und Widerständler lässt jedoch weder eindeutige Antworten noch Urteile zu. So bemüht Katers differenzierende Analyse einen dritten Schwerpunkt: die „Stunde Null“ – das Verhalten, die Bewertung und die „Entnazifizierung“ dieser Personen und darüber hinaus einer ganzen Gesellschaft. Dass dabei vieles als Feigenblatt diente und der Begriff nur eine Fiktion blieb, ist nicht zu bestreiten. Allenfalls ist das Insistieren darauf sehr aufschlussreich!
Zusätzlich spannend und die Thematik eminent erweiternd und vertiefend wäre es, künftig in derartigen Betrachtungen auch Komponisten einen Platz zuzuweisen, die in der DDR gelebt und gearbeitet haben – Eisler, Dessau, E. H. Meyer, Wagner-Régeny etwa. Doch schon jetzt bietet der Gang durch diese nach individuellen Vorlieben angelegte Porträt-Galerie nicht nur Einsichten und Denkanstöße, sondern auch Provozierendes und Anlass zum kontroversen Disput!
Eberhard Kneipel