Zehentreiter, Ferdinand

Komponisten im Exil

16 Künstlerschicksale des 20. Jahrhunderts

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Henschel, Berlin 2008
erschienen in: das Orchester 10/2008 , Seite 59

Die vom Pianisten und Dirigenten Vladimir Ashkenazy in der Saison 2002/03 organisierte Reihe „Musik in der Diktatur“ (Konzerte mit der Tschechischen Philharmonie) war ein spätes, ironisch grundiertes Aufatmen über das Ende des Kommunismus, einer der großen Diktaturen der jüngeren Vergangenheit. Ob sich Menschheitsplagen à la Bolschewismus, Faschismus und Nationalsozialismus knechtend, demütigend und entwürdigend noch einmal chronologisch derart eng türmen könnten wie im 20. Jahrhundert, muss dahingestellt bleiben. Derzeit haben wir noch China, Nord-Korea, Weißrussland…
Das Buch Komponisten im Exil will erinnern und beschwören. „16 Künstlerschicksale des 20. Jahrhunderts“ – vor und nach 1945 – sind in ihm gereiht, Lücken von vorneherein entschuldigend. Die Kurzbiografien stammen aus der Feder von Fachautoren, die größtenteils auch tagesjournalistisch aktiv sind. So darf sich auch ein breites Publikum angesprochen fühlen. Manche Beiträge geben den individuellen Gestaltungsästhetiken der Komponisten freilich breiten Raum, beanspruchen ein eigenes musikologisches Territorium, was aber durchaus als informativer „Bonus“ empfunden werden kann.
Dies gilt etwa für die Kapitel über Arnold Schönberg und Arthur Lourié. Doch ist die Darlegung kompositorischer Praktiken mit biografischen Gegebenheiten überall durchaus triftig verwoben. In der Vita Sergej Prokofjews werden freilich die Jahre nach der Rückkehr in die Sowjetunion (1936) bis zum Tod (5. März 1953, tagesgleich mit Stalin) nicht näher aufgearbeitet, auch die „innere Emigration“ Dmitri Schostakowitschs hätte über Bemerkungen im Vorwort hinaus dargelegt werden dürfen. Nun hat das Buch enzyklopädischen Anspruch erklärtermaßen nicht im Blick, selbst wenn der Beitrag über Isang Yun mit reichhaltigen kulturellen Exkursionen aufwartet.
Als eine der bestgeschriebenen Biografien darf jene über Iannis Xenakis gelten. Dieser Komponist suchte nach einem „eigenen Universum“, fühlte sich „unglücklich, in einem Jahrhundert zu leben, das nicht das meine war“. Die „absolute, totale Freiheit“ begegnete ihm über seine Widerstandstätigkeit während des Zweiten Weltkriegs. Dass ihm ein Granate das Gesicht zerfetzte, prägte sein Leben schicksalhaft, führte ihn aber auch zur Freiheit seines künstlerischen Ichs.
Ansonsten gehört Louriés Aufbegehren gegen den Doktrinismus der Serialität (der vor der Avantgarde zeitweilig ausgegrenzte Henze dürfte Schützenhilfe geben) zu den häufigen thematischen Vernetzungen des Buchs, die Lesegewinn bedeuten, mag solche Komplexität vielleicht auch nicht immer beabsichtigt gewesen sein. Das Thema „Exil“ ist auf den 317 Seiten des Buchs zwar nicht ausdiskutiert, aber die Namen der Komponisten (besonders prominente Vertreter neben den erwähnten: Bartók, Eisler, Hindemith, Korngold) ergeben doch eine verlässliche Bilanz.
Christoph Zimmermann

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