Gagel, Reinhard / Joachim Zoepf (Hg.)

Können Improvisatoren tanzen?

mit CD

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Wolke, Hofheim 2003
erschienen in: das Orchester 03/2004 , Seite 79

Was trennt und was verbindet die improvisierte mit der komponierten Musik? Mit welchen künstlerischen Strategien arbeiten heutige Improvisatoren? Wo ist ihr Platz im Musikleben? Diese Fragen standen im Mittelpunkt des Symposiums Improvisierte Musik, das im Januar 2000 in Köln stattfand. Geladen waren Musiker, Komponisten und Musikologen, die sich praktisch und theoretisch mit der Improvisation auseinander setzen. Mit dem Textbuch und einem O-Ton-Hörstück auf der beigefügten CD liegt nun die Dokumentation dieses Symposiums vor.
Sehr schnell wird beim Lesen und Hören deutlich, dass es den Initiatoren der Veranstaltung nicht darum ging, konkrete Ergebnisse oder Begriffsdefinitionen zu erreichen oder gar Geschlossenes zu formulieren. Stattdessen werden – eher unsystematisch, quasi improvisando – verschiedene Facetten der improvisierten Musik präsentiert. Die Statements der Musiker (u. a. Isabella Beumer, Erhard Hirt und Hainer Wörmann) beschreiben die eigene künstlerische Praxis auf sehr lebendige, geistreiche Art und bieten so aussagekräftige Selbstporträts. Darüber hinaus bietet die Sammlung Einblicke in die Geschichte der improvisierten Musik im vergangenen Jahrhundert, Beschreibungen der Organisationsstrukturen der heutigen Improvisationsszene und natürlich auch eine Fülle von Verweisen auf die großen Vordenker dieser Musik wie Derek Bailey, Eddie Prevost und Cornelius Cardew.
Ein Juwel innerhalb des Bands ist der Aufsatz des kürzlich verstorbenen Musikologen Peter Niklas Wilson, der Neueres zum Verhältnis von Komposition und Improvisation beiträgt. Höchst anschaulich und mit bewundernswerter Klarheit des Denkens und Formulierens beschreibt Wilson, wie diese zwei oft als Gegensätze verstandenen Begriffe schon längst ineinander übergegangen sind, zum Beispiel in den Werken von Luigi Nono oder Giacinto Scelsi. Und warum sperren sich immer noch Komponisten gegen die Improvisation? Vielleicht nur aus der Angst, sich selber überflüssig zu machen… Abschließend veröffentlichen Wolfgang Schliemann und Joachim Zoepf ihr „kleines Manifest“, in dem sie wohlbegründet dafür werben, die improvisierte Musik endlich als eine eigene Kunst für sich selbst zu akzeptieren.
Ein kleiner Band und ein Muss für Improvisationsmusiker, der wegen seiner offenen Perspektiven und der Lebhaftigkeit der unterschiedlichen stilistischen Ebenen auch für alle anderen Musikinteressierten gut und spannend zu „lesehören“ ist.
Stephan Froleyks