Furtwängler, Wilhelm
Klavierquintett C-Dur
Der Anfang lässt beinahe das Blut in den Adern gefrieren: Einem Ansturm gleich, mit einem Vibrato, wie es intensiver nicht sein könnte, schwingen sich die Streicher unbeirrbar empor. Alle Emotionen wollen herausbrechen, Verzweiflung, Angst, Verwundung, Mut. Ein aggressives Werk, dicht, gedrängt, gewaltig, nahezu pausenlos, ungeheuer anstrengend zu spielen und zu hören, kaum mehr wirklich kammermusikalisch zu nennen. Allein der Umfang dieses Klavierquintetts zeigt wie Wilhelm Furtwänglers anderen Werke auch sinfonische Dimensionen: Drei Sätze von jeweils fast halbstündiger Dauer hat er komponiert, nicht mehr auf eine einzige CD zu bannen, jeder Satz eine kleine Sinfonie.
Das Clarens Quintett alle Mitglieder sind als Solisten, Orchestermusiker oder Dozenten in Berlin, Weimar oder Jena tätig spielt intensiv, mit größter Genauigkeit, notengetreu perfekt erscheint unpassend, zu technisiert, dem Ausdrucksgehalt nicht angemessen.
Zart hebt die Bratsche im zweiten Satz (Adagio) an, dessen Wiedergabe besonders durch ihre Eindringlichkeit besticht und durch die organische Vereinigung der auch hier dominierenden tiefen Lagen im akkordischen Klavierspiel mit der fast solistischen Anlage. Schade, dass die Klangqualität nicht immer dieses hohe Niveau erreicht. Nie weicht die unterschwellige Schwermut ganz die Schwermut des Dirigenten, der unter der mangelnden Anerkennung seiner kompositorischen Arbeit gelitten hat? Das Unglück mit dem Dirigieren habe ihn vom Komponieren abgehalten, hat Furtwängler einmal gesagt. Dieses in den Jahren 1912 bis 1935 entstandene Opus hat starke spätromantische Züge, wenngleich Furtwängler selbst, obwohl er sich bewusst von der Neuen Musik distanziert hat, sich vermutlich gegen eine solche Festlegung gewehrt hätte. Die magische, suggestive Macht, die vielfältigen Farbwirkungen, die gewaltigen Spannungen und Steigerungen, die dem Dirigenten nachgesagt wurden und die in seinen Aufnahmen hörbar sind: Sie finden sich auch in seinem Klavierquintett, und dankenswerter Weise machen die Interpreten diese leidenschaftliche Auseinandersetzung mit Musik so transparent und erlebbar.
Ruhig gemächlich und heiter ist der dritte Satz überschrieben. Hinter der vermeintlichen Idylle jedoch verbirgt sich wiederum immense Kraft; Widerstand und Widerspruch, Kampf und Zerrissenheit sind in ihrem Miteinander unbesiegbar. Bis zur Erschöpfung haben alle gespielt, bis zum Schlussakkord, denkt man doch dann: ein letztes Aufbäumen, nicht nur eins, immer wieder.
Auf den Vorwurf Walter Riezlers, bei dem Klavierquintett, von dem es zu Lebzeiten des Komponisten keine öffentliche Aufführung gab, handele es sich um Katastrophenmusik, antwortete Furtwängler: Ich bin nun mal ein Tragiker. Mancher mag das Stück für überladen und übertrieben halten es ist ein zutiefst persönliches Bekenntnis und in der vorliegenden Einspielung wert, das heimische wie auch das öffentliche (CD-)Repertoire zu ergänzen.
Carola Kessler