Gabriel Fauré

Klavierquartett Nr. 1 c-Moll op. 15

Urtext, hg. von Fabian Kolb, Partitur und Stimmen

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Henle, München
erschienen in: das Orchester 03/2024 , Seite 65

Die Gattung des Klavierquartetts erfuhr ab den 1860er Jahren einen bedeutsamen Aufschwung: Johannes Brahms setzte mit drei viersätzigen Werken zwischen 1863 und 1875 neue, quasi kammersinfonische Maßstäbe, die Anton Rubinstein, Antonín Dvořák, Joachim Raff, Algernon Ashton und der junge Richard Strauss aufgriffen und erweiterten – eine spätromantische Linie, die in den beiden Klavierquartetten Max Regers von 1910 und 1914 einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. In diesen anspruchsvollen deutschen, russischen, tschechischen bzw. britischen Kontext hinein erhebt Gabriel Fauré 1880 und 1886 mit den Klavierquartetten op. 15 in c-Moll und op. 45 in g-Moll seine gewichtige französische Stimme.
Man darf annehmen, dass der 1845 geborene Komponist sich dieses historischen Umfelds mehr oder weniger bewusst war und sich mit der Abfassung seines Klavierquartett-Erstlings auch daher recht schwertat: Vom Sommer 1876 datieren die ersten Entwürfe, aber erst Ende 1883 schloss Fauré das Werk mit einer endgültigen Revision des Finalsatzes ab. Eine offizielle Uraufführung des gut halbstündigen Werks fand gleichwohl bereits im Februar 1880 in Paris statt – damals noch mit der Erstfassung des letzten Satzes.
Die jetzt bei Henle erschienene, vom Frankfurter Musikwissenschaftler Fabian Kolb gewissenhaft betreute Neuausgabe des c-Moll-Werkes weist gegenüber der Erstausgabe des Pariser Verlages Hamelle zahlreiche Vorzüge auf: Der Notensatz der Klavierpartitur ist dank kleiner und enger gestochener Streicherstimmen übersichtlicher, in der Regel gelingt es mit genau kalkulierter Millimeterarbeit, vier (statt bei Hamelle drei) Notenakkoladen auf eine Seite zu bringen, sodass die Gesamtseitenzahl sich verringert und Wendestellen für den Pianisten optimiert werden. Die sparsam eingebrachten Fingersatzvorschläge des erfahrenen französischen Konzertpianisten Pascal Rogé sind, abgesehen von einem unredigierten Zahlendreher in Takt 102 des Adagios, hilfreich.
Anmerkungen zu Analogien der Notendauern erscheinen plausibel. Ob der Spieler wirklich eine deutsche Übersetzung von „très également“ oder von „long“ braucht, sei dahingestellt.
Zwei mittel- bzw. bassstimmige Orgelpunktbildungen (Kopfsatz Takte 109 bzw. 111, Adagio Takt 34), die die raffinierte harmonische Eigenwilligkeit des Komponisten belegen, sind zum Glück beibehalten worden, werden in ihrer „Querständigkeit“ aber als Fußnote und überdies auch in einem Artikel auf der Website des Verlags umständlich-betulich in Frage gestellt – als bedürfe die Seele des Hörers beim Vernehmen einer verminderten bzw. übermäßigen Fauréschen Oktave eingehender musikologischer Tröstung.
Rainer Klaas