Franck, Richard
Klavierquartett in E
"Quartett in einem Satz" op. 41, Urtext, hg. von Nick Pfefferkorn
Der 1858 in Köln geborene Richard Franck konnte am Ende seines Lebens er starb 1938 in Heidelberg auf ein Werk zurückblicken, das nahezu alle Gattungen umfasst, vom Lied bis zur Chormusik und zur Symphonie. Die zweite Lebenshälfte Francks fällt in die Zeit des Übergangs spätromantischer Komposition in die freie Tonalität, dann in die Zeit der Komposition mit dem chromatischen Total und der Reihentechnik. Das Quartett in einem Satz entstand 1905: Der Untertitel verweist nachdrücklich und treffend auf die innige Verwobenheit der vier Quartettsätze, die nach wie vor in ihrer musikalischen Charakteristik zu erkennen und voneinander zu unterscheiden sind (Allegro Adagio Allegro, an das erste Allegro motivisch und in Tempo und Bewegungsart anknüpfend Allegro, ebenso motivisch anknüpfend, doch erheblich schneller).
Insgesamt zeichnet das Quartett eine sich beschleunigende Bewegung nach, verfolgt also eine lineare Entwicklung; gleichzeitig durchläuft es einen Kreis, verweist am Schluss zurück auf den Anfang über die Ostinato-Figuren im Klavier und die fast minimalistischen Repetitionsfiguren in den Streichern. Zwei divergente Zeit-Konzeptionen also, die einander überlagern. Deutlich zu hören sind die motivischen Beziehungen zwischen den vier Sätzen, am klarsten herauszuhören in den Allegro-Abschnitten. Aber auch das Adagio wird motivisch an die übrigen Sätze angebunden, wenn die motivische Ähnlichkeit auch nicht so hervorsticht wie bei den Allegro-Sätzen.
Sind also die vier Sätze einerseits unüberhörbar aufeinander bezogen, so entstehen auf der anderen Seite durch Binnengliederungen (Wechsel der tonalen Orientierung, Tempowechsel) musikalische Landschaften, die harmonisch unterschiedliche Färbungen präsentieren sowie verschiedene Bewegungsformen (metrisch-rhythmischer Art) realisieren und so den Eindruck kleinerer Sätze innerhalb eines Satzes hervorrufen. Das (in verschiedene Sätze) Geteilte wird verbunden: in einem Satz. Zugleich wird das eine vielfältig gegliedert und aufgefächert.
Das Entstehungsjahr des Quartetts, 1905, verweist auf die Zeit, die den Übergang in die sogenannten Miniaturen der Zweiten Wiener Schule vorbereitete. Zum Vergleich: Anton Weberns Vier Stücke für Geige und Klavier op. 7 entstanden 1910 (endgültige Version 1914).
Das Vorwort der Partitur zu Richard Francks Quartett zitiert eine Bemerkung des Kritikers Otto Dorn zu Francks Kammermusik dieser Zeit: Dorn charakterisiert sie als feingestimmten Abklang der edelsten Romantik. Das Quartett blickt gleichsam janusköpfig in einem aufregenden historischen Augenblick zurück und voraus zugleich, scheint neue harmonische Konstellationen, neue Möglichkeiten zur Bildung musikalischen Zusammenhangs (Begriff aus Weberns Vorträgen Der Weg zur Neuen Musik) zu ahnen und tritt doch als Erscheinung (längst?) vergangener Romantik auf. Diese spannungsvolle Konstellation könnte die Interpretationsarbeit eines Ensembles zu einem aufregenden Abenteuer machen.
Eva-Maria Houben