Klavier Kaiser

14 große Pianisten auf 20 CDs. Die schönsten Aufnahmen ausgewählt und kommentiert von Joachim Kaiser

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Süddeutsche Zeitung, 20 CDs
erschienen in: das Orchester 04/2005 , Seite 92

Mit geballtem Medieneinsatz kommt seit Oktober der Klavier Kaiser daher, die von Joachim Kaiser herausgegebene Dokumentation von „vierzehn großen Pianisten und ihren schönsten Aufnahmen“. Die Süddeutsche Zeitung fungiert als Herausgeberin, und im Verbund unterstützt der Bayerische Rundfunk das Projekt. Großflächige, intelligente Zeitungswerbung und abgeschmackte Werbetrailer im Radio sollten schon vorab neugierig machen. Begleitend zur Edition stellte das SZ-Feuilleton ab Oktober 2004 jeden Freitag den „Pianisten der Woche“ vor, dem jeweils am Samstag die Welle „Bayern 4“ folgte, wo Kaiser seine ausgewählten Künstler in der Reihe „Starke Stücke“ beredt vorstellen durfte.
Ein starkes Stück ist’s fürwahr, was sich hier ereignet. So viel geballter Medieneinsatz für ein Stück Hochkultur, das eher eine kleine Minderheit von Kennern anspricht, gab’s noch selten. Der Beobachter fühlt sich hin- und hergerissen zwischen Sympathie für ein Unternehmen, das unverzagt traditionelle Werte hoch hält und popularisieren will, und der Abneigung gegen den Rummel, mit dem das Vorhaben an die Öffentlichkeit tritt.
„Diese Edition vermittelt die Bekanntschaft mit einem Kanon der maßgeblichen und maßstabsetzenden Interpretationen eines Jahrhunderts“ – so lautet der von Joachim Kaiser erhobene Anspruch. Kanons sind jüngst wieder in Mode gekommen, ob es sich um Literatur handelt, ob um Musik. Über die schmale Riege derer, die Kaiser erkoren hat, „groߓ zu heißen, lässt sich trefflich streiten, weil die Kriterien im Verborgenen bleiben. Widerspruch ist leicht einzulegen: Svjatoslav Richter und Emil Gilels fehlen etwa auf Kaisers Klavier-Olymp, Clara Haskil und Ivo Pogorelich, Rudolf Serkin und Friedrich Gulda.
Im ungewöhnlichen Hochformat präsentieren sich die Booklets: als eine Art Flügelaltar in Karton-Version, den es aufzuklappen gilt, um an die ein oder zwei CDs pro Pianist zu gelangen und kurze subjektive Würdigungen sowie beim weiteren Öffnen der Altarflügel biografische Informationen zu erhalten. Die CDs selbst enthalten Aufnahmen aus dem Zeitraum von circa 1930 bis 2000, wobei als Nebeneffekt die Werkauswahl ebenfalls einen kleinen Kanon der Klaviermusik ergibt, der neben vielem Bekannten als vielleicht einzige Überraschung Schönbergs Klavierkonzert bietet (gespielt von Maurizio Pollini).
Auch eine Neuabmischung mit moderner Studiotechnik kann nichts Grundsätzliches daran ändern, dass alte Aufnahmen wie die mit Edwin Fischer aus den 1930er Jahren verrauscht und topfig klingen, wenn auch Joachim Kaiser wohl mit Recht die trotz zusätzlicher pianistischer Patzer so sprechenden Schubertaufnahmen Fischers in seine Auswahl einbezogen hat. Persönliche Kommentare Kaisers auf einem Schluss-Track runden das jeweilige Pianisten-Porträt ab.
Wie ergiebig nun diese betont subjektive Auswahl ist, ob es auf dem Gebiet der Interpretation überhaupt sinnvoll ist, einen „Kanon“ des Bedeutsamen aufzustellen: Der Käufer und Hörer dieses CD-Pakets muss es letztlich selbst entscheiden. Die Marktwirkung des Medien-Umklammerungsangriffs ist noch nicht abzuschätzen.
Gerhard Dietel