Burrows, John (Hg.)
Klassische Musik
Komponisten, Interpreten, Instrumente, Hauptwerke
Wer zum Beispiel in Konzerteinführungsveranstaltungen mit Konzertgängern zu tun hatte, der wird wissen, dass es um die allgemein musikalische und musikhistorische Sachkenntnisse seiner Klientel im Allgemeinen schlecht bestellt ist. Und so wünscht man dieser, die mit dem dtv-Atlas zur Musik wohl zu wissenschaftlich bedient wäre, nichts mehr als ein gescheites Handbuch und Nachschlagewerk, das diesem Informationsnotstand abhelfen könnte. Der vorliegende Band bringt zuerst einmal augenscheinlich gute Voraussetzungen mit, solche Wünsche zu erfüllen. Sie decken sich übrigens mit den Wünschen seines Herausgebers, die er seinem Buch im Vorwort mit auf den Weg gibt: Es solle informativ sein, auf Musik neugierig machen und auf leicht verständliche Art Zugang zu ihr verschaffen.
Ersteres sieht man schon beim flüchtigen Durchblättern bestätigt. Die kompakten 512 Seiten auf Hochglanzpapier in flexiblem Einband bersten vor Texten, Tabellen, Symbolen und Fotos. Sie machen das Buch etwa im Kapitel Instrumente nicht zuletzt auch zu einem attraktiven Bilderbuch. Manchmal vielleicht auch mit ungewolltem Unterhaltungswert, wenn man sich fragt, welche Assoziationen denn wohl der skeptisch dreinschauende Mops im Text zu Elgars Enigma Variations hervorrufen soll. Manchmal muss man die Stirn runzeln, angestrengt oder ärgerlich, weil das Beispiel aus der Autografenkiste so arg klein geraten ist und allenfalls impressionistische Funktion hat. Das Layout ist ansonsten lesefreundlich, sehr zeitgemäß, arbeitet also auch mit diversen Fenstern.
Informativ sind sie ohne Zweifel, die elf Kapitel dieses Buchs. Das beginnt mit einer Einführung in die Elemente der klassischen Musik, ihrem Material, Ton, Rhythmus, Harmonik, Form usw. und bietet dann eine Musikgeschichte vom Jahr 1000 bis heute. Jedes dieser Epochenkapitel teilt sich in eine Einführung in jeweils wichtige Gattungen, Formen oder Besetzungseigentümlichkeiten und in einen Komponisten- und Werkteil auf. Tabellen mit Lebensdaten, Symbole für Werkdauer, Satzzahl und Besetzung geben Information auf knappstem Raum, wobei der Umfang, der jedem Komponisten zugestanden wird (zwischen zwanzig Zeilen für Cimarosa und sieben Seiten für Mozart), seiner allgemein anerkannten oder vermeintlichen historischen Stellung entspricht. So erfüllt das Buch auch quasi die Funktion eines musikhistorischen Wertekanons.
Sein Informationsgehalt wird enzyklopädisch, wenn man auf Komponisten wie Reynaldo Hahn (1874-1947) stößt, dem die an-zunehmende Zielgruppe dieses Buchs kaum begegnen wird. Die Zielgruppe wird nicht mäkeln, dass Komponisten wie Eisler oder Orff ebenso wie Grieg unter nationale Schulen zu finden sind und nicht unter Moderne. Sie wird sich in aufgeklärter Sicherheit wähnen, wenn sie unter dem jeweiligen Schlagwort Fokus quasi Analysierendes über zentrale Werke erfährt. Es ist durchaus anzunehmen, dass diese Werkbetrachtungen in leichtverständlichster Weise auch auf eine Musik neugierig machen können, womit ja diese Ziele des Buchs erreicht wären.
Es kann aber nicht verhehlt werden, dass manche Texte der Musik nicht gerecht werden. Dazu trägt ein zuweilen ins Banale abgleitender Konzertführerjargon bei. Zwei Beispiele: Den Abschluss bildet ein flottes Finale, in dem die Hörner hervortreten (zu einer Sinfonie C. Ph. E. Bachs) und: In Ravels bekanntestem Stück steigert sich eine achtzehntaktige Melodie, begleitet von einem Bolero-Rhythmus (zum Bolero). Das gab es bei Kaisers Klassik in der Bunten präziser, liebevoller und verführerischer.
Ungereimte Aussagen wie die, dass Bachs Wohltemperiertes Klavier auch unter dem Namen 48 Präludien und Fugen bekannt ist, mag man den vielleicht musikunkundigen Übersetzern anlasten, dass Liszts h-Moll-Sonate verschiedene Sätze früherer Sonaten enthält, wohl schon nicht mehr. Auch eine Aussage, dass Mussorgsky die westlichen Harmoniefolgen nicht kannte, ist unerfreulich, auch wenn man gewillt ist, der Simplizität des Populären gewisse Zugeständnisse zu machen. Diese Beispiele ließen sich fortführen. Ihre Existenz schadet der grundsätzlich hoch zu lobenden Idee eines solchen Buchs nicht wenig.
Günter Matysiak