Kolbe, Corina
Klassik im Hintertreffen?
Was die Klassik von der Rock-Pop-Branche lernen kann
Madonna war dabei, auch Metallica, Bon Jovi, Lenny Kravitz, Red Hot Chili Peppers sowie viele andere Stars ließen sich nicht lange bitten. Bei der größten Benefizveranstaltung aller Zeiten spielten am 7. Juli 2007 auf allen Kontinenten Rock- und Popbands 24 Stunden lang für den Klimaschutz. Initiator der “Live Earth”-Konzerte war der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore, dessen Engagement gegen die globale Erwärmung durch den Oscar-gekrönten Film Eine unbequeme Wahrheit ein weltweites Publikum fand.
Die Warnungen vor den Folgen der Klimakatastrophe sind seither immer eindringlicher geworden. Die Weltgemeinschaft ist jedoch nach wie vor weit davon entfernt, eine gemeinsame Strategie zu finden. Jacob Bilabel, ein früherer Manager von Universal Music, wollte nicht tatenlos zusehen und gründete die “Green Music Initiative” eine Plattform, auf der die Musikwirtschaft mit Unterstützung von Umweltwissenschaftlern und Künstlern aktiv gegen den CO2-Ausstoß vorgehen will.
“Erreicht werden diese Ziele nur, wenn alle ihren Teil dazu beitragen”, erklärte Bilabel. Und die Musikbranche trage durch ihren weltweiten Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung eine große Mitverantwortung. Wie die “Green Music Initiative” hervorhebt, verbraucht die Musik- und Entertainmentindustrie erhebliche Mengen an Energie. Allein in Großbritannien wurden 2007 rund 54.0000 Tonnen Klimagase freigesetzt. Das entspricht den jährlichen CO2-Emissionen einer Stadt mit 54.000 Einwohnern oder denen von 180.000 Kraftfahrzeugen.
Zu den Vorreitern in Sachen Klimaschutz gehört mittlerweile die Band Radiohead, die auf Tourneen und bei der Produktion neuer CDs gezielt Energie einspart, um ihren ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. Die “Green Music Initiative” setzte weitere Zeichen, indem sie etwa in diesem Jahr das erste Leitbild für eine umweltverträgliche Berlin Music Week entwarf. Die Teilnehmer der Branchenmesse wurden dazu angeregt, Verursacher von Klimagasen zu identifizieren und Nachhaltigkeitsmaßnahmen umzusetzen.
Von der Rock- und Pop-Szene lernen
Diese neuen Ansätze können auch für die Klassikbranche Vorbildcharakter haben. Auf der Suche nach neuen Publikumsschichten haben Orchester, Opernhäuser und kleinere Klassik-Ensembles in den vergangenen Jahren zunehmend Grenzen überschritten und sich weiter zur Gesellschaft hin geöffnet. Ziel ist es, Angehörige unterschiedlicher Generationen und sozialer Schichten für klassische Musik zu begeistern und die Menschen in ihrem jeweiligen Umfeld “abzuholen”. Dabei erscheint es ganz und gar nicht abwegig, die wachsende Sorge um die Umwelt zu thematisieren. So will z.B. die neue Initiative “Orchester des Wandels”, die von Mitgliedern der Staatskapelle Berlin gegründet wurde, mit Partnerorchestern und anderen Interessierten ein großes Netzwerk zum Schutz des Klimas bilden und das Publikum zum konkreten Handeln bewegen. Viele Menschen stünden vermutlich kurz davor, zugunsten der Umwelt aktiv zu werden, meinen die Musiker, die dafür die entscheidenden Impulse geben wollen. Die geplanten “Klimakonzerte” mit klassischer Musik, die sich auch außerhalb von Berlin fortpflanzen solllen, sind von ihrer Logik her gar nicht so weit von “Live Earth” entfernt. Sie sollen allerdings kein singuläres Event sein, sondern den Klimaschutz auf längere Sicht vorantreiben.
In der Rock- und Popszene können Festivals wie “Melt!” in den kommenden Open-Air-Saisons die Chance nutzen, ihr “grünes” Image weiter zu festigen. Das “Melt! Festival”, das in diesem Sommer rund 22.000 Fans auf das ehemalige Tagebaugelände Ferropolis bei Dessau lockte, stellte über einen Partner Autobusse bereit. Die Besucher verabredeten sich in sozialen Netzwerken und waren selbst dafür verantwortlich, die Busse zu füllen. Von Köln aus fuhr außerdem ein Hotelzug ab, der für viele Leute die Frage nach einer Unterkunft am Zielort überflüssig machte. Die hohe Zahl von Buchungen zeigte, dass viele Rockfans am liebsten ohne Auto anreisen wollten. Vom 130 Kilometer entfernten Berlin aus wurde als klimaneutrale Alternative auch eine Radtour organisiert.
Umweltberaterin des “Melt! Festivals” war die “Green Music Initiative”, die mit der Deutschen Energie-Agentur DENA einen Verkehrsplan erstellte. Bilabel ist fest davon überzeugt, dass sich ein solcher Einsatz auch bei einem kleineren Festival lohnt. Ein Drittel der Gäste komme schließlich nicht aus Deutschland, betonte er. Die Treibhausgase, die auf vielen Hundert Autokilometern ausgestoßen werden, will das Festival entscheidend verringern.
Auch die vom Bundesumweltministerium geförderte Kampagne “Klima sucht Schutz” stand “Melt!” mit Rat und Tat zur Seite. So genannte StromChecker waren auf dem Gelände unterwegs, um Festivalbesucher über ihren Elektrizitätskonsum aufzuklären. Im August unterstützte die Kampagne erstmals auch ein Klassikkonzert auf Schloss Ulrichshusen in Mecklenburg-Vorpommern. Der Geiger Daniel Hope hatte im Rahmen seiner Initiative “Tu was!” mehrere Kollegen zusammengebracht, um für den Klimaschutz zu musizieren.
Jenseits der Grenze in Dänemark haben die Umweltaktivisten in der Musikszene bereits einige Jahre Vorsprung. Die Veranstalter des Rockfestivals in Roskilde vergeben begehrte Übernachtungsplätze auf einem ökologisch korrekten Campinggelände nur an klimabewusste Besucher. Die Initiative “Green Footsteps” (Grüne Fußabdrücke) verlangt, dass sie dafür mindestens drei “grüne” Taten nachweisen. Dazu gehören etwa das Recyceln von Kleidungsstücken, Mülltrennung und Einladungen zu umweltfreundlichen Dinner Parties, bei denen vor allem vegetarische Speisen aus der Region serviert werden sollen. Auch die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln wird hier gezielt unterstützt.
www.greenmusicinitiative.de
www.meltfestival.de
www.roskilde-festival.dk/uk/about_the_festival/green_footsteps