Boll, Thomas
Klarinettenschule
Band 1
Thomas Bolls Klarinettenschule enthält im Vorwort den Hinweis, dass sie sich an Erwachsene und jugendliche Schülerinnen und Schüler richtet. Erwartet werden müsste hier demnach eine Methodik, die entweder auf mehrere Altersstufen abzielt oder die sich unpersönlich und allgemein an alle wendet. Dies ist eines der Probleme dieser Schule, ein anderes ihre sprachlichen Ungenauigkeiten bzw. Orthografiefehler. Müsste es nicht richtig heißen: für Erwachsene und Jugendliche, oder wahlweise für erwachsene und jugendliche Schülerinnen und Schüler?
Auf seiner Website www.thomasboll.de schildert der Autor den Verlauf einer ersten Klarinettenstunde bei ihm. Im Anschluss an diese erste Stunde sollte ein Schüler die Stücke bis maximal Seite 14 üben: Hier zeigt sich schon eine gewisse Leichtigkeit des Seins
Prototypisch ist der (scheinbar unausrottbare) Satz: Ein Punkt hinter der Note verlängert diese um die Hälfte ihres Wertes, der weder einem Erwachsenen noch einem Jugendlichen nützt, um Rhythmik zu erfassen. Schriftliche Hinweise und Beschreibungen sind unvollständig bzw. es fehlt ihnen der logische Fortgang. So wird zwar der Achtel-Takt eingeführt, jedoch nicht der früher vorkommende Halbe- bzw. Alla-breve-Takt. Auf Sechzehntel-Werte ohne Punktierung wird nicht eingegangen.
Mit Ausnahme einer eher weiter nicht erläuterten Forte-Angabe auf Seite 25 geht es erst auf den letzten vier Seiten des 72-seitigen, spiralgebundenen Hefts um Lautstärken. Um ein gutes Ansatzgefühl im Zusammenhang mit der Intonation zu erreichen, hätten diese Begriffsbezeichnungen bereits deutlich früher eingeführt werden müssen. Natürlich kann ein guter Pädagoge diese Unterlassungen und Ungenauigkeiten ausgleichen.
Die Folge der Griffeinführungen ist anders als in manch anderer Klarinettenschule gut durchdacht, weil am Körper orientiert. Das notenbild-entliehene lange Festhalten an Stammtönen findet hier nicht statt (fis’ und b bis S. 22 eingeführt). Ebenso ist die zeitlich getrennte Griffeinführung bei mehrgriffigen Tonhöhen positiv festzuhalten. Mancher gesunde Hinweis auf den Einstudierungsweg eines Stücks hilft grundlegend weiter. Ein durchdachtes Eintauchen in den Überblasbereich wird vermisst, abruptes Fortschreiten kommt dabei vor. Deshalb ist die Bezeichnung aller Töne gleichen Griffs (mit und ohne Überblasklappe), ohne die oberen Töne schon spielen zu können, fragwürdig. Die eingehefteten Übekärtchen zum Ausschneiden können bei guter Auswahl durch den Lehrer sehr hilfreich sein. Die Stücke, auch zweistimmige Bearbeitungen aus der Klavier- und Orchesterliteratur, sind sämtlich der traditionellen Musik zugehörig, es fehlt also neue Musik. Alle meine Entchen und Hänschen klein könnten bei Jugendlichen durchaus Unwillen erzeugen. Die den Melodien zugefügten zweiten Stimmen bewegen sich oft wenig ästhetik-geleitet, einschließlich abrupter Stimmkreuzungen und manch paralleler Quinte.
Wem organisches Vorgehen im Schriftlichen nicht so wichtig erscheint, wer dagegen vor allem der Reihenfolge der Tongriffe und der damit verbundenen Zuordnung zumeist bekannter Melodien den Vorzug gibt, dem ist diese progressiv geordnete Literatursammlung zu empfehlen.
Maximilian Schnurrer