Rebmann, Martina/Reiner Nägele (Hg.)

klangwelten : lebenswelten

komponistinnen in südwestdeutschland

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Badische Landesbibliothek, Karlsruhe 2004
erschienen in: das Orchester 03/2005 , Seite 70

Zumindest im kulturellen Bereich scheint die oft angezweifelte Zusammenarbeit von Baden und Württemberg reibungslos zu klappen. Denn in unproblematischer Eintracht haben die Musikabteilungen der Karlsruher und der Stuttgarter Landesbibliothek ein sehr interessantes Ausstellungsprojekt in die Wege geleitet, das nach seiner Station in der Fächerstadt noch bis zum 24. März 2005 in der baden-württembergischen Landeshauptstadt zu sehen ist.
Der Ausstellungskatalog klangwelten : lebenswelten ist sehr lesenswert, eine Fundgrube für sozial- und musikgeschichtlich Interessierte. Die Herausgeber Martina Rebmann von der Karlsruher Landesbibliothek und ihr Stuttgarter Kollege Reiner Nägele, die auf die reichen Bestände ihrer Institute zurückgreifen konnten, haben ganze Arbeit geleistet.
Sängerinnen wurden zwar seit dem 18. Jahrhundert auf der Bühne gefeiert, bei Instrumentalistinnen, Dirigentinnen oder gar Komponistinnen sah dies aber ganz anders aus. In klangwelten : lebenswelten werden mit Franziska Danzi-Lebrun (1756-1791), Emilie Zumsteeg (1796-1857), Josephine Lang (1815-1880), Pauline Viardot-García (1821-1910), Clara Faist (1872-1948) und Margarete Schweikert (1887-1957) sowie Eva Schorr (geb. 1927) Komponistinnen in ihrem musikalisch-gesellschaftlichen Umfeld gezeigt. Anhand der gefeierten Sängerin Franziska Danzi-Lebrun wird das reiche Musikleben am Mannheimer Hof des Kurfürsten Carl Theodor aufgefächert. So wird die europäische Karriere und Anerkennung der Sängerin, nicht aber der kaum bekannten Komponistin dokumentiert. Emilie Zumsteegs Geschichte könnte kaum einen größeren Kontrast bieten: Ganz auf den Stuttgarter Raum konzentriert, konnte sie sich als Chorleiterin, Musiklehrerin und Sängerin, aber auch als Komponistin zumindest im begrenzten Rahmen profilieren. Der Aufstieg des Bürgertums brachte so auch für Frauen in bescheidenen Grenzen größere künstlerische Entfaltungsmöglichkeiten, was sich auch in der Drucklegung einiger ihrer Kompositionen niederschlug.
Dass die Ehe und besonders die Mutterschaft für eine Komponistin mehr als nur ein Hemmschuh sind, zeigt hingegen das Beispiel der Komponistin Josephine Lang, deren Liedschaffen mit der Heirat fast abbrach. Vor ihrer Eheschließung wurde sie noch von Felix Mendelssohn Bartholdy gelobt und einige ihrer Lieder wurden auch verlegt. Mit der Sorge um sechs Kinder behaftet und früh verwitwet, litt sie in Tübingen materielle Not, die dann wieder zur Hinwendung zum Komponieren, diesmal auch unter dem Blickwinkel des „Brotberufs“, führte.
Materielle Nöte kannte die Sängerin und Pädagogin Pauline Viardot-García nicht. Aus einer bedeutenden Musikerfamilie stammend, trat sie auf der Bühne das Erbe ihrer früh verstorbenen Schwester, der berühmten Maria Malibran an. Von ihrem Mann Louis Viardot unterstützt, konnte sie ihren kompositorischen Neigungen frönen. Nach dem Umzug nach Baden-Baden komponierte sie eine Reihe von geistvoll-persiflierenden Operetten, die teilweise in ihrem eigenen kleinen Opernhaus aufgeführt wurden. Inzwischen erleben diese lange unterschätzten Bühnenwerke so etwas wie eine kleine Renaissance.
Waren es meist Lieder, Chöre oder Klavierstücke, seltener Kammermusik oder gar großformatige sinfonische Werke, die Komponistinnen zugestanden wurden, so machte die in Rastatt wirkende Luise Adolpha Le Beau eine Ausnahme, die anhand ihrer sinfonischen Dichtung Hohen-Baden vorgestellt wird. Im Spannungsfeld ihres Unterrichts beim eher konservativen Joseph Rheinberger und ihrer Wagner-Verehrung zeigt sie sich als reflektierende Künstlerin, die einen eigenen Weg aus dem Parteienstreit zwischen Konservativen und Neudeutscher Schule suchen wollte.
Als Weg in die Innerlichkeit ist die Entwicklung der Konzertpianistin und Liedkomponistin Clara Faist aus Karlsruhe zu sehen, deren künstlerische Entwicklung durch die Erfahrung zweier Weltkriege geprägt wurde. Sie war eine Schülerin von Heinrich Ordenstein, der besonders ihr Liedschaffen lobte. Von ihren wohl über hundert Liedern sind viele im Druck erschienen. Anders entfaltete sich die Kunst der ebenfalls in der Fächerstadt wirkenden Margarete Schweikert. Die Geigerin, Pädagogin und Komponistin, eine Enkelschülerin von Max Reger, nahm eine anerkannte Stellung in ihrer Heimatstadt ein, woran ihre publizistischen Beiträge in der Lokalpresse sicher Anteil hatten. Die Beeinträchtigungen durch zwei Weltkriege und ein teilweises Berufsverbot in der Nazizeit schienen ihre künstlerische Ausdruckskraft trotz aller Hemmnisse und Beschwernisse nicht abgeschnitten zu haben.
In seinem der Komponistin Eva Schorr gewidmeten sehr klugen Beitrag hat Clytus Gottwald die Problematik, der sich jeder, der sich mit Komponistinnen intensiv auseinander setzt, hervorgehoben: Wer die sozialen Gegebenheiten, also die bis in die Gegenwart anhaltenden Belastungen durch ein von Kindern geprägtes Familienleben ausklammert, wird den spezifischen Problemen der Komponistinnen einerseits nicht gerecht, andererseits liegt die Gefahr nahe, wieder in überkommenen Klischees, in „die Dichotomie von männlich/weiblich, die er mit Rücksicht auf die Musik a priori für untauglich gehalten hatte“ zu verfallen.
Welche Probleme Frauen hatten, die professionell als Musikerinnen ausgebildet werden wollten, zeigt beispielhaft ein Brief von Ernst Rudorf 1881 an den damaligen Rektor der Berliner Musikhochschule, den berühmten Geiger Joseph Joachim: „Ich möchte dich bitten, die Frage ernstlich in Erwägung zu ziehen, ob es richtig ist, daß wir Damen in Orchesterstunden und Aufführungen mitwirken lassen. Das Hineinpfuschen der Frauen in alle möglichen Gebiete, in die sie nicht hineingehören, ist schon genug an der Tagesordnung.“
Walter Schneckenburger