Keyworks

Musik für Kontrabassklarinette

Rubrik: CDs
Verlag/Label: karnatic LAB records KLR 022
erschienen in: das Orchester 01/2011 , Seite 76

Die Suche nach neuen Klangfarben und die Erweiterung des Klangraums rückt seit dem 20. Jahrhundert bisweilen Instrumente in den Vordergrund, die zuvor nur ein Schattendasein führten. In der Klarinetten­familie war es die Bassklarinette, die in den vergangenen fünfzig Jahren viele Komponisten inspirierte und damit auch Interpreten hervorbrachte, die sich auf dieses Instrument spezialisierten.
Der in Hamburg an der Musikhochschule und am Pariser Nationalkonservatorium ausgebildete Klarinettist Sebastian Borsch geht noch einen Schritt weiter und lässt auf der vorliegenden CD das tiefste aller Klarinetteninstrumente, die Kontrabassklarinette, solistisch zu Ehren kommen. Experimentiert hatte man mit einem derartigen Instrument in den unterschiedlichsten Bauweisen bereits im frühen 19. Jahrhundert. Damals wurde es z.B. in Militärkapellen als verstärkendes Bassfundament eingesetzt. Darüber hinaus gehende Qualitäten konnte man ihm erst in der zeitgenössischen Musik abgewinnen.
Die hier eingespielten „Schlüsselwerke“ aus dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts und dem Anfang des 21. verweisen auf die dunklen Seiten der Musik. Anubis/Nout von Gérard Grisey bezieht sich auf den ägyp­tischen Totengott und die Himmelsgöttin, die musikalisch wirkungsvoll kontrastierend dargestellt werden: Zunächst der mit großem Geräuschanteil häufig schnarrend klingende Anubis, dann Nout mit deutlich hörbarem vielseitigem Obertonspektrum. Giacinto Scelsis Maknongan verharrt in der Konzentration auf wenige mit kleinsten Nuancen versehenen Tönen verbunden mit dem rauen, geräuschhaften Ton des Instruments im Abgründigen.
Das eigens für Sebastian Borsch komponierte Solostück Golem von Giorgio Colombo-Taccani lebt dagegen vom Kontrast der Registerwechsel und verschiedenartigen musikalischen Gesten und lässt dabei das gesamte Spektrum des Instruments zur Entfaltung kommen. Franco Donatonis Ombra-Stücke bestechen durch ihre kompositorische Stringenz, während Eberhard Eysers in Flux etwas mehr Redseligkeit verbreitet. Die klug zusammengestellte Auswahl aus dem nicht sehr umfangreichen Solo-Repertoire für Kontrabassklarinette wird mit einem thematisch beziehungsreichen Duo für Violine – souverän von Swantje Tessmann gespielt – und normale Klarinette, die Pièce des früh verstorbenen kanadischen Komponisten Claude Vivier, abgerundet, dem auch die erste Komposition der CD, Griseys Anubis/Nout, gewidmet ist.
Sebastian Borsch ist mit diesem Recital eine äußerst eindrucksvolle Demonstration „seines“ Instruments gelungen und er erweist sich dabei als äußerst kompetenter Interpret zeitgenössischer Musik, der alle möglichen Klangeffekte von sehr differenzierter Slap-Tongue bis zu Mehrklängen und extremen klangfarblichen und dynamischen Schattierungen, die bis an die Grenze des Hörbaren reichen, mühelos hervorbringt.
Heribert Haase