Metzmacher, Ingo
Keine Angst vor neuen Tönen
Eine Reise in die Welt der Musik
Wer hat Angst vor neuer Musik? Niemand, möchte man gerne aus vollem Halse rufen, doch leider, leider
sie ist nicht so, die Realität. Das liegt unter anderem daran, dass es zu wenig Menschen wie Ingo Metzmacher gibt. Who is afraid of 20th century music?, rief Metzmacher, derzeit noch Generalmusikdirektor des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg und alle, alle kamen sie. Wenn man dazuhin bedenkt, dass es die Silvesterkonzerte (!) sind, die seit fünf Jahren unter diesem Motto stattfinden, dann erscheint dieser Erfolg umso erstaunlicher. Wenn andernorts Operette und Walzer zum Mitklatschen animieren, regt Metzmacher sein Publikum zum Mitdenken an.
Demjenigen, der sein neues Buch Keine Angst vor neuen Tönen gelesen hat, wird klar, dass dieser Erfolg auf Metzmachers uneingeschränkter Hingabe und Begeisterung für das Neue, für das Unerhörte beruht. Eingerahmt von zwei sehr persönlichen Kapiteln über seine elterliche Prägung (Mein Vater) und seinen Aufbruch in die schöne neue Welt der Musik (Unterwegs), porträtiert Metzmacher zwölf Komponisten, die ihm besonders am Herzen liegen. Dazwischen schieben sich sieben Betrachtungen zu übergreifenden Themen: Zeit, Farbe, Natur, Geräusch, Stille, Bekenntnis und Spiel.
2+12+7: Metzmacher strukturiert sein Buch klar und nachvollziehbar. Keineswegs zufällig rahmen die Porträts von Luigi Nono und Karl Amadeus Hartmann das Kapitel Bekenntnis, der Abschnitt Geräusch verbindet Edgard Varèse und Karlheinz Stockhausen, Spiel steht zwischen Igor Strawinsky und John Cage.
Zu jedem Komponisten greift Metzmacher ein oder zwei Werke heraus, die er ausführlicher darstellt. Seine Erläuterungen basieren auf ausführlicher Analyse und der Erfahrung eines erfolgreichen Dirigentenlebens. Doch ist Metzmachers Sprache weit entfernt von trockener musikwissenschaftlicher Notenzählerei. Sein beschreibender Stil entbehrt nicht der notwendigen Exaktheit im Ausdruck, verbindet diesen jedoch mit lyrischen Qualitäten, die das Lesen zu einem Genuss machen. So heißt es z. B. zum Beginn von Mahlers erster Sinfonie: Ein Klang entsteht aus dem Nichts. Der Ton A in mehreren Oktaven. Ein Feld wird abgesteckt, ein Raum entfaltet, in dem alles geschehen wird. Die Oboe durchwandert ihn bedächtig mit zwei fallenden Quarten. Trompetenfanfaren schallen aus der Ferne. Ankündigungen, die neugierig machen. Ganz allmählich, von unten herauf, gerät die Sache in Bewegung. Metzmacher zieht uns hinein in die Musik, er lässt die Musik in uns entstehen.
Dies ist kein Buch für blutige Anfänger. Metzmachers Beschreibungen entwickeln erst auf der Folie eigener musikalischer Erfahrungen ihre volle Wirkung. Die Aufgeschlossenheit dem Neuen gegenüber spiegelt sich auch im Einbezug neuer Medien: Das komplette Register der Komponisten und Werke kann aus dem Internet heruntergeladen werden. Eine durchaus sinnvolle Möglichkeit, teures Papier zu sparen und dennoch alle Informationen zugänglich zu machen.
Nach der Lektüre hat man eigentlich nur noch einen Wunsch: möglichst alle besprochenen Werke hörend nachzuvollziehen. Kann es ein größeres Lob für ein Musik-Buch geben?
Rüdiger Behschnitt