Pohl, Marie / Otmar Alt

Karneval der Tiere

oder: Die Hochzeit des Löwen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Demond & Reihl, Witten 2010
erschienen in: das Orchester 06/2011 , Seite 67

Aufnahmen von Camille Saint-Saëns’ Karneval der Tiere gibt es wie Sand am Meer, in den unterschiedlichsten Varianten und mit einem bunten Reigen prominenter Sprecher, Bearbeiter, Arrangeure. Doch mitten in diesem bergeweise aufgefüllten Sand findet sich seit Kurzem ein wunderschöner Edelstein, gefunden und geschliffen von Marie Pohl. Die junge, 1979 geborene und in Hamburg, Madrid und New York aufgewachsene Autorin hat sich nämlich zu Saint-Saëns’ Musik ihre ganz eigene Geschichte von der Hochzeit des Löwen ausgedacht. In einer Sprache, die schlichtweg vom ersten Moment an begeistert und gefangen nimmt. Oder ist es die unnachahmliche, unverwechselbare, ja unglaubliche Stimme von Anna Thalbach, die Marie Pohls Verse so lebendig, frech und frisch macht? Ganz sicher beides. Doch Anna Thalbach vermittelt in jeder Sekunde dieser Neuproduktion der Duisburger Philharmoniker den Eindruck, als sei ihr Marie Pohls Karneval, diese Hochzeit mit Hindernissen, unmittelbar auf den Leib geschrieben. So vielfältig das auftretende animalische Personal ist, so vielfältig ist ihre Kunst der stimmlichen Verwandlung. Der Geier kommt im distinguierten Wienerisch daher, der Küchenchef-Hahn parliert Französisch, des Kuckucks Heimat ist unzweideutig Sachsen, die versteinerte Auster und die Trilobitten-Krebse (also die Fossilien) haben auch über zig Jahrtausende hinweg ihr Italienisch nicht verlernt. Wie ein Chamäleon wechselt Anna Thalbach immer und immer wieder die Farbe – grandios, virtuos!
Pohls eigener Fantasie entsprungen ist der Oktopus Mimiiiik, der anstelle der gewohnten Fische das Aquarium bewohnt. Das ist ein geheimnisvoller Zauberer, dessen Arme sich zu Saint-Saëns’ magischen Klängen (samt Glasharmonika) in acht Seeschlangen verwandeln und der damit das Hoch­zeitspublikum restlos beeindrucken kann. Auch die drei Hyänen sind die Erfindung der Autorin: Die gerissenen Raubkatzen Berliner Provenienz haben es auf die Löwenbraut Anastasia abgesehen. „Schnell muss et jehn, wie bei den Banküberfall. Zacki. Zacki. Zacki.“ Die Entführung gelingt zwar, doch am Ende steht selbstverständlich das Happy End.
Dieser Karneval ist Chefsache: Jonathan Darlington, seit 2002 Generalmusikdirektor der Duisburger Philharmoniker, dirigiert „sein“ Orchester höchstpersönlich. Das spielt ebenso fantastisch wie Vladimir und Svetlana Kharin, die beiden wieselflinken Pianisten.
Hören und Sehen ergänzen sich in diesem Fall, denn die CD ist „nur“ Anhang eines Buchs, das zum einen den Text wiedergibt, zum anderen Illustrationen des Künstlers Otmar Alt präsentiert. Alts Markenzeichen sind knallige, bunte Momentaufnahmen, ziemlich witzig, reichlich naiv – man kann das mögen, kommt aber auch ohne sie aus!
Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass dieses liebenswerte Karneval-Projekt auch zur Unterstützung der Aktion „Lichtblicke“ dient: Damit wird Kindern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen geholfen, die krank oder in Not geraten sind.
Christoph Schulte im Walde

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