Draheim, Joachim

Karlsruher Musikgeschichte

mit CD

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Info-Verlag, Karlsruhe 2004
erschienen in: das Orchester 03/2005 , Seite 74

Unter den deutschen Großstädten ist Karlsruhe die jüngste. Sicher auch einer der Gründe, warum es sich nicht um eine „musikalische Metropole von der Bedeutung und Ausstrahlung, die man Wien, Leipzig, Berlin, Hamburg, München, Köln oder Frankfurt zubilligen wird“ handelt, wie der Karlsruher Musikforscher und Schumann-Spezialist Joachim Draheim schon im Vorwort zu seiner informativen Karlsruher Musikgeschichte betont. Er verweist zwar zu Recht darauf, dass Karlsruhe gelegentliche Sternstunden erlebt habe und über ein reiches Musikleben verfügte und verfüge, aber eben keinen Metropolenrang beanspruchen dürfe. Diese anerkennenswerte kritische Einschätzung durchzieht den ganzen lesenswert geratenen Band.
Dabei liefert Draheim nicht nur eine Fülle von genau recherchierten Informationen, sondern zeigt sich durchaus urteilsfreudig. Gelegentlich lässt er, besonders was die überregionalen Medien und deren Einschätzung der kulturellen Aktivitäten der Fächerstadt angeht, sich auch zu polemisch geratenen Attacken hinreißen. Im Vordergrund steht aber die facettenreiche Musikgeschichte der Stadt, die einen ihrer Höhepunkte in der Uraufführung des sinfonischen Erstlings von Johannes Brahms erlebte. „Es war mir nämlich immer ein heimlich lieber Gedanke, das Ding zuerst in der kleinen Stadt, die einen guten Freund, guten Capellmeister und gutes Orchester hat, zu hören.“ Otto Dessoff, an den Brahms diese Zeilen im Oktober 1876 schrieb, war zu diesem Zeitpunkt Hofkapellmeister in Karlsruhe und sollte jenes Ding, bei dem es sich um die lang erwartete erste Sinfonie handelte, im November 1876 in der Fächerstadt uraufführen. Auf viele Ereignisse solcher Bedeutung kann die Karlsruher Musikgeschichte zwar nicht zurückblicken, aber es ist dennoch beachtlich, was in der Stadt, die ja erst 1715 durch den Markgrafen Karl Wilhelm von Baden-Durlach gegründet wurde, musikalisch seitdem geschehen ist.
Im 19. Jahrhundert gewinnt
Karlsruhe als Musikstadt zunehmend an Bedeutung. Einerseits bereicherte das großherzogliche Hoftheater, das 1810 mit einer Aufführung von Ferdinando Paërs Achilles eröffnet wurde, das Musikleben, andererseits findet sich auch, teilweise bedingt durch die Nähe des nicht nur bei Musikern so beliebten Baden-Baden, eine Reihe von bedeutenden Virtuosen und Komponisten in Karlsruhe ein. Hofkapellmeister waren Franz Danzi oder Joseph Strauß, dessen Dirigententätigkeit von Richard Wagner gelobt wurde. Der bedeutende Orchesterleiter Hermann Levi, der 25-jährig 1864 zum Hofkapellmeister ernannt wurde, brachte 1869 trotz der begrenzten Möglichkeiten des Hoftheaters Wagners Meistersinger von Nürnberg auf die Bühne. Wagners Pläne, Tristan und Isolde in Karlsruhe uraufzuführen, scheiterten indes. Levi setzte sich nicht nur für Wagner ein, er war auch mit Brahms befreundet, der ebenso wie Clara Schumann häufiger in Karlsruhe auftrat.
Nach Levi und Dessoff, der neben der ersten Sinfonie auch das Schicksalslied nach Hölderlin von Brahms uraufführte, wurde mit Felix Mottl einer der bedeutendsten Wagner-Dirigenten ins Badische berufen. Auch durch sein Wirken wurde Karlsruhes Ruhm als „Klein-Bayreuth“ begründet. Zudem wurden in Karlsruhe eine ganze Reihe von Opern uraufgeführt wie beispielsweise 1893 Eugen d’Alberts “Der Rubin”, 1894 Max von Schillings’ “Ingwelde” oder 1897 Franz Schuberts “Fierabras”. Erstmals vollständig an zwei Abenden wurden 1890 zudem Hector Berlioz’ monumentale Trojaner gezeigt.
Aber auch im 20. Jahrhundert, nun als Badisches Landestheater und später als Staatstheater, konnte das Haus mit namhaften Dirigenten wie Josef Krips oder Joseph Keilberth aufwarten. Neben der Pflege des Werks von Richard Wagner und Richard Strauss gibt es seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die „Händelfestspiele“ des Staatstheaters, die für eine Reihe von Ausgrabungen stehen.
Draheims Musikgeschichte informiert aber nicht nur über die Opernpflege oder das Auftreten bedeutender Musikerpersönlichkeiten. Zudem wird ein konzentrierter Überblick über die bürgerliche Musikpflege und die musikalischen Ausbildungszentren wie die bedeutende Musikhochschule Karlsruhes geboten. Ebenso werden die Institutionen wie beispielsweise das aus Bonn nach Karlsruhe umgesiedelte Max Reger Institut oder die Musikabteilung des ZKM vorgestellt.
Als sinnvolle Ergänzung ist dem Band eine CD beigegeben, die eine Reihe von Raritäten bzw. Ersteinspielung von Karlsruher Komponisten enthält. Dass Draheim kein Wort beispielsweise über die Aktivitäten des Karlsruher Jazz-Clubs verliert, der seit den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts existiert, mag man als Manko deuten: Draheims Musikbegriff ist nur auf die klassische Musik hin ausgelegt.
Walter Schneckenburger