Karl Amadeus Hartmann und das Streichquartett

sowie Aufnahmen mit den Originalstimmen der Familie Hartmann

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Cybele KiG 001, 3 SACDs
erschienen in: das Orchester 06/2010 , Seite 69

„Im Idealfall spricht das Werk eines Künstlers für sich.“ Ein befremdlicher Satz angesichts dieser liebevoll dargebotenen Edition, die in durchaus neuartigem Gepräge Brücken schlägt zwischen der Person eines Künstlers und seinem Werk und zugleich hinüber zum Rezipienten, dem Einblicke in die Privatsphäre des Künstlers gewährt und hierdurch Verständnisvertiefungen oder auch -korrekturen ermöglicht werden sollen. Weshalb Editorin Mirjam Wiesemann im Booklet diese Methode, die der neuen Pub­likationsreihe „Künstler im Gespräch“ des Labels Cybele zu Grunde liegen soll, im Umkehrschluss als „Nicht-Idealfall“ deklariert, bleibt unklar. Ist es nicht vielmehr so, dass jedem anspruchsvollen Kunstwerk neben einer Dimension des Für-sich-selbst-Sprechens eine weitere verborgene Sphäre innewohnt, auf die allemal ein neues Licht fällt, wenn wir etwas über ihre biografischen Hintergründe erfahren?
Die Nominierung dieses Albums für den Deutschen Hörbuchpreis 2010 kommt nicht von ungefähr: Es bietet reichen Hörgenuss unterschiedlichster Art. Die drei CDs enthalten zum einen Neuaufnahmen der beiden Streichquartette Karl Amadeus Hartmanns sowie zweier seiner Jugendkompositionen: des Kleinen Konzerts für Streichquartett und Schlagzeug sowie des Kammerkonzerts für Klarinette, Streichquartett und Streichorchester. Ergänzt werden diese Aufnahmen durch Interviews – Gespräche, die Ulrich Dibelius und Mirjam Wiesemann mit der Ehefrau des Komponisten, Elisabeth Hartmann, sowie mit seinem Sohn Richard Hartmann geführt haben – und durch eine SWR-Aufnahme aus dem Jahr 1962, in der Hartmann selbst eine autobiografische Skizze, Anmerkungen zu eigenen Werken sowie zu den Stichworten „Arnold Schönberg“, „Bekenntnis zur Oper“ und „Kunst und Politik“ ins Mikrofon gesprochen hat. Insbesondere dieser 35-minütige O-Ton lässt die aufrechte, humanistisch geprägte Persönlichkeit Hartmanns, seinen unbeugsamen Mut zu künstle­rischer und menschlicher Integrität sehr plastisch werden. Zum besseren Verständnis der Interviews sollte ergänzend der sehr gute Booklettext gelesen werden, andernfalls bleibt manche durchaus interessante Gesprächspassage dem Uneingeweihten unklar.
Welch große Stütze Elisabeth Hartmann für ihren Mann während der Jahre innerer Emigration bis 1945 gewesen sein muss, lässt sich nur erahnen: Ihre durch Ulrich Dibelius gelegentlich herbeisuggerierten Antworten lassen zwar auf eine überaus warmherzige Persönlichkeit schließen, bieten aber vergleichsweise wenig Primärinformation.
Das Spiel des DoelenKwartet aus Rotterdam lotet das immense Spektrum der Musik Hartmanns von lyrischer Zartheit bis hin zu rhythmischer Verve und expressiver Hochspannung eindrucksvoll aus. Kleine Intona­tionsschwachpunkte hätten vielleicht noch ausgebügelt werden können. Die übrigen Mitwirkenden stehen den Quartettisten in puncto Intensität und Hingabe an diese großartige Musik in nichts nach. Ein weiteres Kritikerlob gilt dem schön gestalteten und reich bebilderten Booklet.
Gerhard Anders

Page Reader Press Enter to Read Page Content Out Loud Press Enter to Pause or Restart Reading Page Content Out Loud Press Enter to Stop Reading Page Content Out Loud Screen Reader Support