Dibelius, Ulrich (Hg.)
Karl Amadeus Hartmann
Komponist im Widerstreit
Zum Hartmann-Jahr der Komponist Karl Amadeus Hartmann wurde 1905 geboren ist ein von Ulrich Dibelius herausgegebener Band erschienen, der sich mit Leben und Werk eines Komponisten im Widerstreit befasst. Die innere Emigration Hartmanns, die hier von unterschiedlichen Seiten beleuchtet wird, zeigt sich auch bei kritischer Hinterfragung nicht als eine nur vorgegebene: Hartmann hat während der Zeit der Naziherrschaft in Deutschland keine Werke aufführen lassen, hat weitgehend, von einigen wenigen Aufführungen im Ausland, die ihm teilweise sein Mentor Herrmann Scherchen ermöglichte, nur für die Schublade komponiert. Solche Konsequenz war selten in diesen Zeiten, zumal bei einem jungen Komponisten, der, um diese selbst gewählte Existenz durchhalten zu können, auf materielle Unterstützung seiner Schwiegereltern angewiesen war.
Die Vielstimmigkeit der Betrachtung, die Ulrich Dibelius im Vorwort dieses lesenswerten Bandes ankündigt, hat sich mehr als bewährt. Dass manches mehrfach, aber immer aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet auftaucht, ist deshalb kein Manko. Die kaleidoskopartige Betrachtung ergibt ein trotz einiger Lücken sehr plastisches Bild von der Persönlichkeit des Komponisten. Einer Persönlichkeit, deren Vitalität sich in allen Zeugnissen niederschlägt, der seiner Vaterstadt München trotz des braunen Spuks bis zu seinem allzu frühen Tod 1963 verbunden blieb.
Antifaschist durch und durch, dabei ein politisch denkender und sich immer für die Freiheit der Kunst Einsetzender was ihn letztlich 1950 davon Abstand nehmen ließ, das Angebot anzunehmen, in Ost-Berlin die Leitung der Musikhochschule zu übernehmen , war Hartmann immer auch bereit, im persönlichen Umgang seine Meinung zu revidieren. Seine nach 1945 bestimmenden Vorbehalte gegenüber Orff und Egk, deren Erfolge in Nazideutschland ihm mehr als suspekt waren, änderten sich auch dank des persönlichen Kontakts in den 50er Jahren. Hartmann wollte sicher nicht vergessen, war aber offensichtlich bereit, Fehlverhalten zu verzeihen.
Im Vordergrund aber steht das künstlerische Werk Hartmanns, wobei in diesem Band dank der in den vergangenen Jahrzehnten aufgetauchten frühen Werke beziehungsweise von früheren Fassungen vieler Kompositionen ein im Detail neues Bild entsteht. Viele seiner früheren Werke, ausgenommen die beiden Streichquartette, sind, wenn überhaupt, erst lange nach seinem Tod uraufgeführt worden. Beispiele dafür sind die Solowerke für Violine oder Klavier. Auch sein einziges vollendetes Musiktheater Simplicius Simplicissimus, wie er die Endfassung von 1957 nannte hat er erst nach einer Umarbeitung wieder der Öffentlichkeit präsentiert. Dass jenes, was er verworfen oder unterdrückt hat, von mangelnder Qualität sei, ist
hier ist den Autoren zuzustimmen sicher nicht der Fall. Die Vitalität, aber auch schon die handwerkliche Sicherheit der wenigen Werke, die aus der Zeit vor 1933 bekannt sind, sprechen ihre eigene Sprache.
Dass Hartmann die Partituren, die zwischen 1933 und 1945 fast ausnahmslos für die Schublade entstanden, nach dem Krieg erst nach umfangreichen Überarbeitungen präsentierte, mag überraschen, wird aber einsehbar erläutert: Bei aller Klarheit der politischen Stellungnahme wollte er nicht als politischer Komponist gesehen werden. Hartmann hat, wenn irgend möglich, politische Bezüge wie Titelgebung oder Widmung der Werke aus der Nazizeit getilgt. Sein sinfonisches uvre basiert zwar bis zur sechsten Sinfonie zu großen Teilen auf in den Jahren zwischen 1922 bis 1945 entstandenen Vorlagen, wurde aber von Hartmann in einem hier sehr detailliert nachgezeichneten, teilweise mehrfachen Umarbeitungsprozess in eine endgültige Gestalt gebracht, die kaum direkte Hinweise auf die früheren Kompositionsstufen zulässt.
Als Ausdruckskünstler sah sich Hartmann nicht, dies hatte für ihn (und wohl auch die Zeitgenossen) einen falschen Beigeschmack. Viele Facetten des Werks von Hartmann sind zwar noch zu entdecken, seiner Bedeutung als einer der großen Sinfoniker des 20. Jahrhunderts wird dieses Buch aber immer gerecht.
Walter Schneckenburger


