Johann Pachelbel

Kanon und Gigue D-Dur

für drei Violinen und Basso continuo

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Henle, München 2011
erschienen in: das Orchester 11/2011 , Seite 67

Es ist schon erstaunlich, dass der Kanon von Pachelbel bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts größte Popularität erlangte. Allerdings wurde dieser Erfolg nicht mit dem ursprünglichen Notentext, sondern mit einer Ausgabe im Geist der damaligen Zeit mit romantisierenden Eintragungen der Tempi, der Dynamik und der Artikulation erreicht. Der Henle-Verlag ermöglicht nun mit seiner Urtextausgabe einen neuen, historisch gesicherten Zugang zu diesem Werk. Zwar ist das Manuskript wahrscheinlich verschollen. Doch eine Abschrift aus dem 19. Jahrhundert ist erhalten und wurde der Henle-Ausgabe zugrunde gelegt. Wer bislang den Kanon aus einer Ausgabe von Max Seiffert oder anderen modernen Editionen gespielt hat, wird überrascht sein. Er sieht den „nackten“ Notentext ohne alle Bezeichnungen. Doch gerade dadurch kann der Interpret befreit von Traditionen des 19. Jahrhunderts an diese Musik herangehen. Das ist am Anfang sperrig, dann aber entsteht der Impuls für eine Neuentdeckung dieses Werks. Herausgeber ist Norbert Müllemann, die Generalbassaussetzung stammt von Wolfgang Kostujak.
Ist Pachelbels Kanon populär, so sind Plattis Ricercate ziemlich unbekannt. Deshalb ist es sehr verdienstvoll, dass in der Edition Walhall Plattis Duos für Violine und Violoncello in einer Urtextausgabe veröffentlicht wurden. Der 1700 in Venedig geborene Platti kam mit 22 Jahren an den Würzburger Hof, wo er als Oboist, Geiger und Gesangslehrer wirkte. Plattis Musik ist im empfindsamen Stil der Epoche zwischen Barock und Klassik komponiert. Den Duos gab er die merkwürdig altertümliche Gattungsbezeichnung Ricercata. Er meinte damit sicherlich nicht das Orgel-Ricercar, wie es von Bach komponiert wurde, sondern eine ursprünglichere Bedeutung dieses Begriffs: In der frühen Instrumentalmusik waren z.B. Lauten-Ricercare präludierende, improvisatorisch-angelegte Kompositionen und zugleich Lehr- und Übungsstücke, die den Spieler und die Zuhörer unterhalten sollten. Möglicherweise schrieb Platti diese Stücke für den Grafen Rudolf Franz Erwein von Schönborn, der selbst Violoncello spielte.
Die vier erhaltenen Ricercate haben zumeist die Satzfolge der Kirchensonate, nur die dritte ist eine Kammersonate mit einem Siciliano in der Mitte. Die Stücke beginnen oft imitierend, aber keinesfalls wird ein streng durchgeführter Satz angestrebt. Chromatik und Modulationen in andere Tonarten geben diesen Duos einen erstaunlich tiefen Ausdruck, der an einigen Stellen schon an den „Sturm und Drang“ eines Carl Philipp Emmanuel Bach erinnert. Die von Frohmut Dangel-Hofmann herausgegebene Partitur stellt ein übersichtliches und historisch sensibel ediertes Noten­material zur Verfügung, das die Neugier weckt, Plattis Musik wiederzu­entdecken.
Franzpeter Messmer