Juon, Paul
Kammermusik mit Viola
Paul Juon nimmt unter den Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts die undankbare Stellung eines ewigen Geheimtipps ein: So sehr seine Werke in Insiderkreisen auch geschätzt werden, so überschaubar ist doch die Anzahl der tatsächlichen Aufführungen. Als Wanderer zwischen den Welten passt Juon in keine gängige Schublade: Er war Russe von Geburt, stammte aus einer Schweizer Familie und arbeitete (als Professor an der Berliner Musikhochschule) fast 20 Jahre lang in Deutschland. Auch musikalisch ist er schwer einzuordnen: Mal sprach man vom russischen Brahms, dann wieder vom fehlenden Glied zwischen Tschaikowsky und Strawinsky. Die vorliegende CD versammelt (in Zusammenarbeit mit der seit 1998 bestehenden Paul-Juon-Gesellschaft in Zürich) gleich vier Ersteinspielungen von Kammermusikwerken mit Viola und ermöglicht einen guten Einblick in die stilistische Bandbreite von Juons Musik.
Die D-Dur-Sonate op. 15 von 1901 ist in Duktus und Tonsprache noch unverkennbar (und vielleicht ein bisschen zu deutlich) am Vorbild Brahms orientiert, wenngleich sich unter der geschäftig-bewegten Oberfläche (trotz eines unkonventionellen 5/4-Takts im 1. Satz) dann doch eine wesentlich simplere Struktur verbirgt. Der Versuch des ansonsten durchaus lesenswerten Begleittextes, Juon ausgerechnet hier zum Formkünstler jenseits der traditionellen Schemata zu erheben, wirkt deutlich überambitioniert: Die angeblich kristallklar symmetrische Form ergibt sich bei einem dreisätzigen Stück mit zwei Sonatensätzen und einer dreiteiligen Liedform in der Mitte nun mal von selbst.
Von ganz anderem Kaliber ist dagegen das über 20 Jahre später entstandene Schwesterwerk op. 82a (in f-Moll, nicht wie fälschlich angegeben in D-Dur). Hier hat Juon zu einer abgeklärten, harmonisch modal-impressionistisch angereicherten Tonsprache von großer Intensität und auch zu einer überzeugenden formalen (einsätzigen) Lösung gefunden, die das Stück zu einer echten Entdeckung im eher schmalen Repertoire der Bratschen-Sonaten machen.
Roswitha Kilian glänzt in beiden Aufnahmen durch eine technisch selbstverständliche und dabei bemerkenswert uneitle Spielweise, Fumiko Shiraga ist eine kompetente und musikalisch gleichwertige Partnerin. In der D-Dur-Sonate droht der Klavierdonner die Viola manchmal ein bisschen zu überdecken, in den anderen Stücken ist die Balance aber gut. Für die vier Trio-Miniaturen op. 18 bzw. 24 gesellt sich noch der Klarinettist Rupert Wachter hinzu. Meist sind diese eigenhändigen Bearbeitungen diverser Klavierstücke in der Version für Klaviertrio zu hören, hier empfehlen sie sich in alternativer Besetzung als mögliche Ergänzung zu Mozarts Kegelstatt-Trio oder Schumanns Märchenerzählungen. Als Zugabe gibt es noch die Romanze aus der Violinsonate op. 7 in der (ebenfalls von Juon autorisierten) Fassung für Viola und Klavier.
Joachim Schwarz