Weber, Carl Maria von

Kammermusik mit Klarinette

Variationen über ein Thema aus der Oper "Silvana"" für Klarinette und Klavier op. 33 / Quintett für Klarinette, 2 Violinen, Viola und Violoncello op. 34 / Grand Duo concertant für Klarinette und Klavier op. 48"

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2005
erschienen in: das Orchester 09/2006 , Seite 88

Eine historisch-kritische Werkausgabe der Kammermusik mit Klarinette von Carl Maria von Weber ist seit langem überfällig, stellt die Herausgeber aber vor eine große Aufgabe. Es ist bekannt, dass diese Werke wie auch die Klarinetten-Konzerte Webers der langjährigen Freundschaft zwischen Heinrich Baermann und dem Komponisten zu verdanken sind. Die Überlieferung der entsprechenden Kompositionen hat jedoch darunter gelitten, dass einerseits die Verleger nicht sehr sorgsam mit Webers Musik umgegangen sind und andererseits der Sohn Heinrich Baermanns, Carl Baermann, der für sich in Anspruch nahm, den Willen Webers und die Interpretation seines Vaters (auch zwanzig Jahre nach dem Tod Heinrichs) genau zu kennen. So erschienen im Verlag Schlesinger anlässlich einer Gesamtausgabe der Werke Webers 1870 sämtliche Klarinettenwerke mit Baermanns Zusätzen. Diese Baermann-Interpretationen liegen noch heute vielen Ausgaben zugrunde. Es gab nur wenige Versuche, die sich um einen authentischen Notentext bemühten.
Die Carl-Maria-von-Weber-Gesamtausgabe legt nun mit dem dritten Band der Serie VI: Kammermusik, der den Notentext und den Kritischen Bericht enthält, erstmals die komplizierte Quellen- und Editionslage offen und offeriert einen von allen späteren Zusätzen befreiten Notentext, der neue Maßstäbe setzt.
Schon die Lektüre der Entstehungsgeschichte und der Überlieferung der Werke ist für sich ein Gewinn und zeigt, wie spannend Editionsgeschichte sein kann – ausgehend von der geringen Sorgfalt der frühen Verleger bis hin zu gewissenlosen plagiatnahen Neuausgaben noch im vergangenen Jahrhundert. Umso dankbarer muss man für die äußerst akribische Arbeit des Herausgeberteams Gerhard Allroggen, Knut Holtsträter und Joachim Veit sein, die auch noch damit zu kämpfen hatten, dass die Autografen Webers zum großen Teil nicht mehr auffindbar sind und nicht als Quelle zur Verfügung stehen. So kann bei den Silvana-Variationen op. 33 nur der auch noch fehlerhafte Erstdruck als „einzige verlässliche Quelle“ angesehen werden. Besser steht es um das Quintett, dessen Stichvorlage von Weber selbst korrigiert wurde. Ähnliches gilt für das Grand Duo, das die geringsten Eingriffe Baermanns zu verzeichnen hat.
Der jetzt vorliegende Notentext gibt dem Interpreten ein größeres Maß an Freiheit als die landläufigen Ausgaben. Denn Carl Maria von Weber hat nur sehr wenige dynamische Angaben gemacht und klare Artikulations- bzw. Phrasierungsbögen (deren Unterscheidung jedoch nicht immer eindeutig ist) gesetzt. An einigen Stellen sind auch musikalisch logischere dynamische Verläufe als bei Baermann notiert.
Neue Wege geht die Gesamtausgabe mit der beiliegenden CD-ROM, die eine mediale Aufbereitung der Quellen zum Klarinettenquintett darstellt. Für dieses am musikwissenschaftlichen Seminar Detmold/Paderborn angesiedelte Projekt, „Edirom“ genannt, zeichnen Johannes Kepper und Ralf Schnieders verantwortlich. Durch die Wiedergabe aller wichtigen Quellen im Faksimile und die Möglichkeit zur taktweisen Synopse ist die editorische Arbeit exakt nachzuvollziehen. Dieser zukunftsweisende erste Versuch einer neuen hervorragenden Präsentationsform der Quellenforschung, der hier noch ausdrücklich als Test-Version bezeichnet wird, aber bereits alle Vorzüge des Verfahrens erkennen lässt, kann unter www.edirom.de begutachtet werden.
Kein verantwortungsbewusster Interpret der Klarinettenwerke Webers kann zukünftig an den Erkenntnissen der Gesamtausgabe vorbeigehen, die auch mit vielen Faksimiles ausgestattet ist. Umso erfreulicher ist es, dass beim Schott-Verlag die entsprechenden auf der Gesamtausgabe basierenden Einzel-Ausgaben der Kammermusik mit Klarinette bereits erschienen sind.
Heribert Haase