Krenek, Ernst
Kammermusik
Eine lohnende musikalische Entdeckungsreise bietet diese vom Hessischen Rundfunk produzierte CD. Die von Mitgliedern des Radio-Sinfonie-Orchesters Frankfurt und der Sängerin Gabriele Hierdeis hervorragend interpretierten Werke erklingen durchweg als Ersteinspielungen, teilweise als Uraufführungen unveröffentlichter Kompositionen von Ernst Krenek, die einen Zeitraum von fünf Jahrzehnten umspannen und das ungewöhnlich breite stilistische Spektrum eines Komponisten demonstrieren, der stets offen auf die neuesten musikalischen Entwicklungen reagierte, dabei jedoch auch immer bereit war, einmal erreichte Positionen in Frage zu stellen.
Die Fähigkeit Kreneks, sich verschiedener musikalischer Sprachen zu bedienen, zeigt die Konfrontation der Klavierstücke WoO 56 und des Albumblatts für Violine und Klavier WoO 54, beide aus dem Jahr 1920. Bei den Klavierstücken handelt es sich um aphoristische Gebilde, die sich in auffallender Nähe zur frühen Wiener Schule, aber auch zum französischen Impressionismus an der Grenze zur Atonalität bewegen und oft sehr überraschend den Anker zurück in die Tonalität werfen. Das Albumblatt hingegen ist nahezu ein Salonstück in Form eines wiegenden Walzers, wobei bei aller harmonischen Konventionalität die Konzentration im Thematischen auffällt.
In die Zeit der Neuorientierung in der Tonalität Ende der 20er Jahre fallen die Triofantasie op. 63 und die Sonatine WoO 76. Die Triofantasie, die der Komponist nach der Berliner Uraufführung 1930 als ganz und gar minderwertiges Stück zurückzog, bewegt sich rhapsodisch in romantischen Bahnen mit gelegentlichen tonalen Ambivalenzen und schlägt häufig einen geradezu schubertschen Ton an. In der etwas spröderen zweisätzigen Sonatine fallen neobarocke und tänzerische Elemente auf, und es ist eine Tendenz zu formaler Einfachheit bemerkbar.
Kreneks Verwendung der Reihentechnik ist wieder durch zwei sehr gegensätzliche Werke vertreten. Während die kurze Vocalise WoO 83 für Singstimme und Klavier von 1934 ein liebenswürdiges Werkchen von verspieltem Charakter in der Art einer Miniaturszene ist, dominiert in dem robusten Fantasiestück für Cello und Klavier op. 135 von 1953 eine klassizistische Motorik.
Die Offenheit, mit der Krenek auch später neueste Entwicklungen aufgriff, beweist das Klavierstück in elf Teilen op. 197 von 1967, in dessen extrem kurzen Abschnitten der Ton serieller Musik anklingt. Es ist ein experimentelles Werk, das nicht nur ungewöhnliche Spieltechniken wie Cluster, Glissandi auf den Klaviersaiten oder perkussive Behandlung des Resonanzkastens mit einbezieht, sondern auch auf einer flexiblen Zeitstruktur beruht, bei der das Metrum durch unterschiedliche Maßeinheiten von spezifischer Dichte ersetzt wird.
Klaus Angermann