Komarova, Tatjana

Kalenderblätter

Quartett für Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2006
erschienen in: das Orchester 03/2007 , Seite 84

Kalenderblätter – der Titel von Tatjana Komarovas Quartett für Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier weckt romantische Assoziationen. Die Musik selbst aber rückt diese mögliche Erwartungshaltung zurecht. Ein bewegtes, motorisch und klanglich stark differenziertes Werk hat die 1968 in Brest geborene russische Pianistin und Komponistin vor zwei Jahren für das Jerusalem International Chamber Music Festival geschrieben. Dort wurde es dann auch mit der Pianistin Elena Bashkirova uraufgeführt, die Tatjana Komarova zu dieser Komposition angeregt hat. Und noch ein anderer, inzwischen verstorbener (Kammer-)Musiker spielt eine Rolle bei der Entstehung des dreisätzigen Quartetts: Dem Andenken an den Cellisten Boris Pergamenschikow hat Tatjana Komarova ihre Musik gewidmet, Gedanken an ihn haben die Komponistin während der Erarbeitung des Werks nach eigener Aussage bewegt.
Drei übersichtliche Sätze verbinden sich zu dieser Komposition von insgesamt gut zehn Minuten Dauer. Das Grundtempo steigert sich dabei von Abschnitt zu Abschnitt, und auch im Ausdruck bewegen sich die drei Teile auf sehr unterschiedlichen Ebenen. Grüblerisch und nachdenklich, vorsichtig das musikalische Terrain erkundend gibt sich der erste Satz, den das Cello prägt, aber nicht dominiert. Tanzartig und skurril oder auch grotesk entwickelt sich der weitgehend im 6/8-Takt stehende Mittelteil. Das mit „Verzweifelt, manisch“ überschriebene Finale schließlich ist der motorisch und dynamisch ausgreifendste Abschnitt, der wohl auch die dichteste Interaktion der vier beteiligten Instrumente erfordert.
Tatjana Komarova, die bereits in vielen musikalischen Gattungen wie Oper und Orchestermusik zuhause ist, gestaltet ihre Kammermusik mit wohlproportionierten Mitteln. Nie wirkt die musikalische Struktur des Quartetts überzeichnet, nie sind Farben dick oder flächig aufgetragen. Vielmehr gewinnt man den Eindruck, als hätte jede einzelne Figur in jeder der vier Stimmen einen ganz klaren und eindeutigen Bezug zum musikalischen Umfeld. Die Stimmen beziehen sich stetig aufeinander, wirken aber – linear betrachtet – nicht ohne Entwicklung. Daraus entsteht eine gewisse Binnenspannung und natürlich die Aufgabe für die Ausführenden, ihre vier Teilstimmen sehr aufmerksam zu integrieren und sowohl der vertikalen als auch der horizontalen musikalischen Einheit ein großes Augenmerk zukommen zu lassen.
Ohne einen virtuosen Anspruch zu erheben, erfordert Tatjana Komarovas Quartett vier souveräne Kammermusiker, die sich auf die Bewegungen und Kontraste, die Farben und Linien dieser drei Kalenderblätter einlassen und sie pointiert und – bei aller Durchsichtigkeit des Tonsatzes – dicht zu gestalten wissen.
Daniel Knödler