Fischer-Dieskau, Dietrich

Jupiter und ich

Begegnungen mit Furtwängler

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Berlin University Press, Berlin 2009
erschienen in: das Orchester 03/2010 , Seite 63

Ob Schubert, Brahms oder Hugo Wolf: Als Autor hat sich Dietrich Fischer-Dieskau bislang vor allem als Biograf bedeutender Liedkomponisten verdient gemacht. Mit diesen Standardwerken kann man sein jüngstes schmales, nur 70 Seiten umfassendes Erinnerungsbüchlein Jupiter und ich kaum vergleichen, denn hier hat der mittlerweile 84-Jährige einmal nicht die große biografische Form gewählt, sondern die kleinere essayistische, und das ist nur allzu verständlich. An Literatur über Wilhelm Furtwängler mangelt es schließlich nicht. Da verstehen sich die sehr persönlichen Erinnerungen des Künstlerkollegen und Zeitzeugen als wertvolle Ergänzung. Sie gehen zurück in das Jahr 1950, als der damals 25-jährige Bariton am Rande der Salzburger Festspiele erstmals dem 64-jährigen Dirigenten vorsang. Furtwängler selbst begleitete ihn damals bei Brahms’ Vier Ernsten Gesängen. Das große Talent des damals noch ganz am Anfang seiner internationalen Karriere stehenden Sängers blieb Furtwängler nicht verborgen, seine Reife imponierte ihm. Gemeinsame Auftritte ließen folglich nicht lange auf sich warten. Den Auftakt machte eine Aufführung von Brahms’ Deutschem Requiem im Wiener Musikverein.
Seine Reminiszenzen an dieses und auch an alle weiteren gemeinsamen Konzerterlebnisse mit Liedern von Mahler und Bachs Matthäuspassion bilden den Grundstock von Fischer-Dieskaus Sammlung an Aufsätzen. Aus seinen Worten sprechen stets großer Respekt und eine tiefe Verehrung für den Kollegen. Er beschreibt ihn als einen romantischen Künstlertypus: Man konnte beim Zuhören leicht vergessen, dass es nicht seine eigene Musik war, die er dirigierte.
Am Rande kommentiert Fischer-Dieskau ambivalent und kritisch alle strittigen, viel diskutierten Fragen der Furtwängler-Rezeption: seine Bedeutung als Komponist zum Beispiel exemplarisch an seinem Symphonischem Konzert für Klavier und Orchester, das er als sehr überladen einstuft. Insofern wundert es ihn kaum, dass der berühmte Pianist Edwin Fischer, der es 1937 in Berlin uraufführte, “ganze Koffer” gebraucht habe, “um seine hörbar falschen Noten aufzusammeln”. Was Furtwänglers Haltung im “Dritten Reich” angeht, äußert sich der Autor behutsam, ohne dem “Entnazifizierten” einen Pakt mit den braunen Machthabern zu unterstellen, jedoch auch ohne Dinge zu beschönigen. Inwiefern der „Staatsrat“ Furtwängler den Nazis gegenüber Widerstand leistete, als er sich beispielsweise für den verbotenen Komponisten Paul Hindemith stark machte, ist in früheren Dokumentationen schon ausreichend belegt worden.
Fischer-Dieskau bringt die Widersprüchlichkeiten eines Mannes, der sich mitnichten mit dem Hitler-Regime identifizierte, ihm aber zu spät den Rücken kehrte, treffend in einem Satz auf den Punkt: Es sei bezeichnend für ihn gewesen, fortwährend gegen Elemente seines eigenen Wesens zu opponieren. Insofern sieht er in ihm auch einen großen Tragiker.
Neue Erkenntnisse über Furtwängler darf man nicht erwarten. Mit vielen aufschlussreichen, aufführungsgeschichtlichen Details ist Jupiter und ich aber allemal ein wertvolles Dokument.
Kirsten Liese