Jung + Piano

Tonali13 Grand Prix der Pianisten

Rubrik: DVDs
Verlag/Label: www.shop.aries-images.de
erschienen in: das Orchester 06/2015 , Seite 85

Der „Schatz im Silbersee“ versinkt in absehbarer Zeit und geht den Weg alles Weltlichen, die Konzertveranstalter bangen um ihr Publikum, die Klassikbranche geht einer veritablen Krise entgegen, wenn nicht… So oder zumindest so ähnlich klingen die Kassandra-Rufe in der Branche schon seit Jahren; als Reaktion werden konzertpädagogisch geschulte Hoffnungen an die Schnittstelle zwischen institutionalisiertem Kunstbetrieb und möglichem Publikum der Zukunft gesetzt, die auffangen sollen, was die sich verändernde Gesellschaft weder leisten kann noch vielleicht leisten mag. Sieht es wirklich so finster aus für die ergebnisorientierte Klassikkultur unserer Tage? Nun, es gibt auch Gegenstimmen, die ohnehin nicht alles schwarz sehen und das düstere Szenario einer sich verabschiedenden Wertekultur in freundlichere Zahlen zu hüllen wissen. Und es gibt Visionäre, die einfach handeln und so einen Zugang zum Altbewährten eröffnen, der den Kulturbetrieb geradezu „neu“ zu erfinden scheint.
Tonali heißt so ein äußerst wirkungsvoller Zugang, in dem in Hamburg über eine neue Art von Wettbewerb Verantwortung übernommen wird, Musik lebendig zu vermitteln. Beschränkt sich das etablierte Konzertwesen traditionsgemäß eher darauf, hochqualitativ-brillant das fertige „Produkt“ (z.B. in Form eines Beethoven-Klavierkonzerts mit klingendem Solistennamen) auf der Bühne zu inszenieren, so setzen die Macher von Tonali an anderer Stelle an: Hier steht der Mensch im Vordergrund (technisch-virtuoses Können auf allerhöchstem musikalischen Niveau wird bei den Teilnehmern ohnehin selbstredend vorausgesetzt), wird das pianistische Genie auch zum Verbalkommunikator seiner Konzertprogramme, wird im auch emotional fesselnden, den Wettbewerb dokumentierenden Film Jung + Piano der Aspekt „von der Jugend für die Jugend“ zu einem Schlüsselbegriff.
Die Initiatoren des Projekts, Boris Matchin und Amadeus Templeton, lassen mit hohem Identifikationspotenzial erleben, wie nah auch ein äußerst spezialisierter Künstler einem sehr jungen Publikum kommen kann, wie man dem Starkult der Popindustrie ein Gegengewicht in der Klassik zur Seite stellen kann. In 79 von Beginn an fesselnden Minuten wird von Oliver Gieht ein feinnervig-authentisch zwischen Kunstgenuss und mitreißender Dokumentation changierendes Plädoyer für diese Art Wettbewerb, für diese Art der moderierten Musikvermittlung visualisiert, das Seinesgleichen sucht. Das hierbei notwendigerweise verwendete Format spricht gerade junge Menschen mit ihrem spezifischen Medienhintergrund – freilich auf hohem Niveau – direkt an; die Wettbewerbsteilnehmer kommen äußerst sympathisch und authentisch mit Schülern in fruchtbringenden Kontakt. Dass man am Ende des Films mit den Teilnehmern des Wettbewerbs mitfiebert und nach Beendigung ein starkes Bedürfnis danach hat, Klavier zu spielen, lässt die angestrebte Kommunikation weitergehen und spricht sicher für den Film.
Diese Dokumentation des „Tonali Grand Prix der Pianisten“ sollte als mitreißendes Beispiel angesehen werden, wie auch vielleicht in anderen Städten außerhalb Hamburgs ein neues Klassik-Konzept entstehen könnte (und wohl auch sollte), das seine Wurzeln gleich in der Jugend findet.
Christina Humenberger