Schoenberg, Arnold

Johannes Brahms: Piano Quartet No. 1 / Accompanying Music to a Film Scene / Chamber Symphony No. 1

Rubrik: CDs
Verlag/Label: EMI Classics 5099945781520
erschienen in: das Orchester 01/2012 , Seite 69

Die Musik der Zweiten Wiener Schule hat im Dirigentenleben von Simon Rattle von Beginn an eine besondere Rolle gespielt, wobei Arnold Schönberg auch bei den frühen englischen Einspielungen einen besonders prominenten Platz einnahm. Nach der hochgelobten Aufnahme der gigantisch besetzten Gurre-Lieder haben sich Rattle und die Berliner Philharmoniker nun der Bearbeitung Schönbergs von Brahms’ Klavierquartett g-Moll op. 25, der ersten Kammersinfonie in der Orchesterfassung des Komponisten sowie der Begleitmusik zu einer Lichtspielszene op. 34 angenommen.
Dass die Berliner ein Virtuosen-Orchester im besten Sinne sind, kommt auch bei diesem scheinbar spröden Schönberg-Programm zum Tragen. Unterstützt von einer auf Transparenz ausgerichteten Klangtechnik musiziert das Spitzenensemble die Begleitmusik zu einer Lichtspielszene dramatisch geschärft, die expressionistisch bedrohliche Atmosphäre der Komposition von 1930 ausleuchtend. Schönberg, der an allen Künsten, also auch dem am Ende der 1920er Jahren aufkommenden Tonfilm interessiert war, verbindet hier das aus einer Zwölftonreihe abgeleitete thematische und harmonische Material mit expressionistischer Ausdruckskraft, die von der Entstehungszeit der Begleitmusik zurück auf die Werke Schönbergs vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs verweist. Das Steigerungspotenzial der drei Abschnitte „Drohende Gefahr“, „Angst“ und „Katastrophe“ wird von den Berlinern voll ausgekostet.
Die 1906 entstandene Kammersinfonie für 15 Soloinstrumente wurde vom Komponisten, wohl auch durch die Aufführungserkenntnis geprägt, dass die Balance von fünf Streichern und zehn Bläsern nicht zu bewerkstelligen ist, 1935 für Sinfonieorchester bearbeitet. Die kontrapunktische Ausarbeitung und die Materialbehandlung des Werks trägt deutlich Spuren der Auseinandersetzung mit Brahms, wobei bei aller analytischer Durchleuchtung durch Rattle der variable Orchesterklang immer zum Tragen kommt.
Schönberg hat sich schon lange vor dem berühmten Radiovortrag („Brahms der Progressive“) zum 100. Geburtstag des Komponisten vom 12. Februar 1933 intensiv mit Brahms auseinandergesetzt. Die wohl musikalisch bedeutendste Ausformung dieser Auseinandersetzung führte 1937 im amerikanischen Exil zur Bearbeitung des Klavierquartetts op. 25 für großes Orchester. Wobei es Schönberg einerseits um Verdeutlichung des musikalischen Prozesses, anderseits um die Übersetzung der Kammermusik in einen an Brahms orientierten Orchesterklang ging, auch wenn die Verwendung von Glockenspiel und Xylofon im ungarisch geprägten Finale etwas fragwürdig klingt. Im Vergleich zu der durchaus gelungenen Einspielung von Pedro Halffter mit dem klanglich dunkel grundierten, mehr als soliden Orchester von Gran Canaria kommen die Vorzüge der Sicht von Rattle und seinen Berliner Philharmonikern noch stärker zum Tragen: Hier klingt nichts verdickt, sind sämtliche Orchesterdetails in den packenden Gesamtfluss einer hervorragenden Gesamtdarstellung eingebunden.
Walter Schneckenburger

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