Bockmaier, Claus / Siegfried Mauser (Hg.)

Johannes Brahms

Interpretationen seiner Werke

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Laaber, Laaber 2013
erschienen in: das Orchester 12/2013 , Seite 67

Fünf solcher Herkules-Aufgaben hat der Laaber-Verlag hinter sich: Opulente Bände kamen schon heraus über das Gesamtwerk Beethovens, Schumanns, Mahlers und Schönbergs. Jetzt also Johannes Brahms, der viel zu lang Vernachlässigte, der im Fortschrittsdenken der Musikwissenschaft keinen Platz finden wollte und konnte. Den Nachholbedarf besorgen nun 46 Autoren. Mit 160 Werken des Hamburger Meisters setzen sie sich auseinander. Nicht streng chronologisch, aber nach Opuszahlen und Werken ohne Opuszahlen aufgeführt behandeln sie so das gesamte (bekannte) Œuvre, zu dem auch die in jüngeren Jahren aufgetauchten Jugendwerke Männerchor-Lieder in Es- und H-Dur gehören sowie ein Albumblatt für Klavier in a-Moll.
Der interpretatorische Zugang folgt in Form eines – wie die Herausgeber Claus Bockmaier und Siegfried Mauser erwähnen – „Spektrums methodischer Zugangsformen, die sich nach Herkunft des jeweiligen Autors, aber auch nach der gattungsspezifischen und entwicklungsgeschichtlichen Zugehörigkeit des betrachteten Werks durchaus unterscheiden“. Mal umfassen einzelne Werkinterpretationen vier Seiten, mal, wie im Fall der Symphonien, mehr als zehn Seiten. Fast jeder Eintrag bietet Informationen zum Entstehungshintergrund. Danach kann der Leser mit analytischen Betrachtungen rechnen, durchsetzt mit Kommentaren von Brahms’ Zeitgenossen, etwa von Clara Schumann oder vom Brahms-Freund und -Biografen Max Kalbeck. Etwas unterbelichtet bleibt die neuere Rezeptionsgeschichte. Ein kurzer, dafür aber ergiebiger Essay von Giselher Schubert kompensiert das Desiderat. Zugleich macht sich der Brahms-Fachmann Schubert stark für eine stärkere Akzentuierung inhaltsästhetischer Deutungen, die vor allem die Balladen op. 10 für Klavier oder das erste Klavierkonzert op. 15 nahelegen.
Stets fundiert, fernab grassierender Unterhaltungsmoden, erfüllen die zwei Bände an jeder Stelle wissenschaftliche Standards. Unbedingt gehören sie somit in jede Musikbibliothek, aber auch in jedes Bücherregal des Musikliebhabers. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis erleichtert tieferes Eindringen in Werke, die man im Falle Brahms’ nie erschöpfend behandeln kann; das Namensregister wiederum bietet Anhaltspunkte für ein schnelles Nachschlagen, das öfter vorkommen wird als eine durchgehende Lektüre. Im Laaber-Verlag erscheinen demnächst weitere Bände über Felix Mendelssohn Bartholdy und Claudio Monteverdi. In „schwierigen Zeiten“, die die Herausgeber angesichts stagnierender Verlagsgeschäfte konstatieren, sind auch das riskante, aber angesichts solcher Standards umso lobenswertere Mammutprojekte.
Torsten Möller