Moosbauer, Bernhard

Johann Sebastian Bach: Sonaten und Partiten für Violine solo

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2015
erschienen in: das Orchester 04/2016 , Seite 67

Bachs Werke für Violine solo zählen zu den erstaunlichsten Kompositionen der Musikgeschichte. Sie sind für Geiger ein Prüfstein ihrer Technik und musikalischen Gestaltungsgabe. Bach verwirklicht hier eine Art virtueller Polyfonie und vereinigt in der „kleinen“ Geige ein musikalisches Universum. In der Reihe „Bärenreiter-Werkeinführungen“ legt Bernhard Moosbauer eine kluge und umsichtige Beschreibung vor, der man es anmerkt, dass er nicht nur Musikwissenschaftler, sondern auch Barockgeiger ist.
Er verfolgt die Spuren zurück zu Johann Paul von Westhoff und Johann Georg Pisendel. Für welchen Zweck Bach die Sonaten komponierte, kann auch Moosbauer nicht klären. Aber seine Hypothesen sind diskutierenswert: Bach selbst, zeigt Moosbauer, war ein hervorragender Geiger und Prinz Johann Ernst von Weimar ein sehr guter Dilettant. Möglicherweise hat Bach diese Werke für ihn komponiert und auch für ihn gespielt.
Die Komposition der Werke für Violine solo war für Bach verbunden mit der Schaffung von Modellhaftigkeit: Moosbauer legt dar, wie genau die Proportionen mathematisch durchdrungen und wie alles – von der Gesamtdisposition bis zum Detail – aufeinander bezogen ist. Darüber hinaus zeigt er, dass Bachs Kompositionen für Violine solo eine Art „Summa“ des Komponierens sind und den Charakter des „Enzyklopädischen“ haben: Alle damals bekannten Formen und die gesamte damals gebräuchliche Violintechnik sind hier versammelt.
Nach diesen generellen Fragen befasst sich Moosbauer mit der Beschreibung der Musik. Dabei charakterisiert er die einzelnen Satztypen der Sonaten und die verschiedenen Tänze der Partiten. Anschließend befasst er sich in den „Einzelbetrachtungen“ mit der individuellen Gestaltung. Diese Einzelbetrachtungen sind sicherlich auch für Hörer, die in die Tiefe dringen wollen, interessant, vor allem aber nützen sie Geigern, die diese Werke einstudieren. Sehr genau beschreibt Moosbauer den Verlauf der Kompositionen in allen ihren Aspekten, also hinsichtlich der Harmonik, der Motivik, der formalen Architektur und des Affektgehalts. Er hilft so, die komplizierte Struktur verstehen zu lernen, und gibt Hinweise auf den Charakter der Musik. Dies ist vor allem wertvoll bei den Tänzen, deren Herkunft er ebenso zeigt wie die Besonderheiten der Bach’schen Gestaltung. Dabei analysiert er die rhythmischen Muster, die Taktgliederungen und die harmonischen Zusammenhänge. Diese Einblicke in die musikalische Struktur sind eine gute Hilfe für die Artikulation und für die Gestaltung des Spannungsaufbaus beim Spiel.
Bernhard Moosbauers Werkeinführung ist musikwissenschaftlich im besten Sinn: ein zuverlässliches Kompendium nach heutigem Wissensstand und zugleich verständlich für geschulte Musikliebhaber und praktische Musiker. So hat das reich mit Notenbeispielen ausgestattete Buch das Zeug, ein Standardwerk zu werden.
Franzpeter Messmer