Köpp, Kai

Johann Georg Pisendel (1687-1755)

und die Anfänge einer neuzeitlichen Orchesterleitung

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Hans Schneider, Tutzing 2005
erschienen in: das Orchester 07-08/2005 , Seite 79

Die Sächsische Staatskapelle in Dresden gilt bis heute als eines der profiliertesten Orchester. Die Tradition dieser „Wunderharfe“, wie Richard Wagner sie rühmte,  beginnt im 18. Jahrhundert, worüber Kai Köpp umfassende Untersuchungen vorlegt, die das Einmalige dieses Klangkörpers erhellen. Dabei wird deutlich, dass besonders das Wirken von Johann Georg Pisendel nach Grundlegungen des Vorgängers Jean-Baptiste Volumier (auch als Voulmyr geführt) einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der neuen Orchesterspiel- und Gestaltungskultur nahm, die in dieser Form zur damaligen Zeit einmalig war und ausstrahlungsstark.
Der Autor, der diese Arbeit als Dissertation in Freiburg vorlegte, nimmt zuerst die vorliegenden Lebensbeschreibungen auf, um dann detailliert Pisendels Lebens- und musikalischem Entwicklungsweg durch das europäische Musikleben – Stationen sind Ansbach, Leipzig, Berlin, Paris, Neapel, Florenz, Rom und Venedig, wo er Vivaldi kennen und schätzen lernte – nachzugehen. Pisendels musikalische, vor allem geigerische Voraussetzungen machen ihn bereits in Leipzig beim Telemann’schen Collegium Musicum so bekannt, dass der Dresdner „Maitre des Concerts“ Volumier den knapp 24-Jährigen als Violinisten an den Hof Augusts des Starken engagiert, wo er bis zu seinem Tode wirkt.
Die Arbeit Köpps beschränkt sich nicht auf biografische Details, sondern greift weiter und untersucht Pisendels führende Position innerhalb des Dresdner Ensembles als Capellmeister, Vize-Capellmeister und Konzertmeister. Dabei deckt Köpp auf, dass Pisendel am Cembalo als Leiter des Orchesters wesentlichere Funktionen hatte als der Capellmeister. Pisendel, der sich mit seinem Capellmeister Hasse bestens verstand, hat dabei in der Vorbereitung der Musiker eine so disziplinierende und in der affektgemäßen und stilsicheren Gestaltung präzise Arbeit geleistet, dass eben jene perfekte musikalische Ausdruckskraft entstand, die die von den Zeitgenossen bewunderte Klanglichkeit schuf. Für ihn waren die damals üblichen Mittel von französischem und italienischem Stil zu beherrschen, die er als Lehrer und Orchestererzieher bestens übertrug, und dabei kam er zu jenem „deutschen“ oder „vermischten“ Stil, den auch Telemann und Bach propagierten und den er aufführungspraktisch als „Dresdner Stil“ bekannt machte.
Die in der Sächsischen Landesbibliothek überlieferten Bestände der von Pisendel angelegten Werksammlung (darunter ein umfassendes Archiv Vivaldi’scher Werke) sind für das Orchester bearbeitet und aufführungspraktisch eingerichtet und bilden so die Grundlage für die Auswertung. Für das Dresdner Orchester zeigt das eine Tradition von exakten Orchesterstudien, spielgerechten Bearbeitungen, die in der Übermittlung von Generation zu Generation die besondere Qualität des Orchesters wahrten. Beispiele erläutern diese Besonderheiten.
Ein Anhang mit Pisendel-Dokumenten und einem Werkverzeichnis vervollständigt die mit großem Fleiß erarbeitete Studie über Musikkultur in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, gibt einen tieferen Einblick in die Aufführungspraxis eines perfekten Ensembles und die Grundlagen einer vorbildhaft geführten Orchesterkultur, an deren Beginn Pisendel stand.
Friedbert Streller