Jenseits der Norm

Klassik trifft HipHop. Einshoch6 und das Münchner Rundfunkorchester

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Scaper:records SPV 330542 CD
erschienen in: das Orchester 04/2011 , Seite 77

Crossover? Auf der CD Jenseits der Norm – Klassik trifft HipHop lässt sich das Münchner Rundfunkorchester nicht mit den „Schmuddelkindern“ des Rap ein, sondern mit wohlerzogenen jungen Leuten. Hinter dieser Produktion steht eine Erfolgsgeschichte. 2004 haben der Geiger und Schlagzeuger Carl Amadeus Hiller und der Rapper Dennis Rosenberger die Idee und den Wunsch, klassische Musik und Rap zu verbinden, und gründen die Gruppe „Einshoch6“. Überaus positive Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Die Band wurde von der Süddeutschen Zeitung zum „Hoffnungsträger des Jahres 2005“ gekürt, erhielt den Kulturstern des Jahres der Münch­ner Abendzeitung und eine Spitzenförderung des Deutschen Musikrats. Thomas Gottschalk engagierte die Band für seine ORF-Late-Night-Show Gottschalk in Salzburg – eine vom Deutschen Musikrat geförderte Europatournee 2007 wäre da wohl qualitätsbezogner zu bewerten. Die Zusammenarbeit mit dem Münchner Rundfunkorchester und dem Dirigenten Jac van Steen begann 2006 mit drei ausverkauften Konzerten im Münchner Prinzregententheater. In dem 2009 veröffentlichten Ergebnis einer Befragung waren denn auch 71 Prozent der Befragten für mehr Veranstaltungen, die Klassik und Pop verbinden.
Was ist das, was da so rundum gut ankommt? Die Texte der Songs folgen dem „Quassel“-Duktus aller Rap-Texte. In den Rap-Texten schwarzamerikanischen Ursprungs mit ihrer latenten Gewaltbereitschaft gab es noch eine quasi-ironische Brechung zu ihrem insistierenden Prediger-Ton. Der existiert hier auch, fällt jedoch zusammen mit wiederholten Appellen an bürgerliche Tugenden: „Ich hab keine Ahnung, wie fast jeder von uns, drum reiß ich mich zusammen, genieß und lebe meine Kunst.“ Ansonsten thematisieren die Texte jugendliche Befindlichkeiten, das alltägliche Leiden an sich selbst, auch das Leiden des „Losers“. Bei dieser Art der Lebenshilfe ist klar, dass man sich vom Schmuddel-Rap fernhält, das hier ist eher Upper-Class-Rap. Die „klassische“ Band-Besetzung mit Violine, Violoncello, Klavier und Rhythmusgruppe wird in ihrem HipHop-fernen Grundton potenziert durch den Orchesterklang. Musik Mozarts und anderer fungiert als Inspirationsgeber. Aber: Es funktioniert nicht.
Der HipHop braucht die „fetten Bässe“, die Base Drum muss knallen. Gewiss, man kann das auch fein „ästhetisieren“, so wie Dendemann. Wo man es auch versuchte: Die Crossover-Spielerei gelang musikalisch-künstlerisch in keinem Genre wirklich befriedigend. Jacques Loussier mag eine seltene Ausnahme sein. Hier aber verliert Mozart seine Identität (das reicht bis in die beiden Mozart-Originalversionen auf dieser CD) und erhält keine neue. Wenn es „gekracht“ hätte zwischen HipHop und Mozart, das wäre noch was gewesen, aber sein Ave verum wird zum Schlager. Auch die Geigenmusik Bibers kann nur als „benutzt“ gehört werden, benutzt für den schönen „Success“ einer jungen Band, benutzt als „Marketinginstrument“ zur Erschließung neuer Zielgruppen. Hört man das CD-Intro, diese leicht verhallte Einladung zum Sich-Zurücklehnen, die Aufforderung: „Machen Sie es sich bequem!“, kann man sich eine Zielgruppe vorstellen – die Music User aus der Yellow Lounge. Kunst kann aber nicht bequem sein.
Günter Matysiak

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