Schneewind, Ursula

“Jede Note an Dich gerichtet!”

Musikalische Widmungsgeschichten

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Karl Blessing, München 2004
erschienen in: das Orchester 07-08/2005 , Seite 80

Acht Essays versammelt der Band „Jede Note an Dich gerichtet!“ von Ursula Schneewind. Alle stellen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung musikalische Werke, die von den Komponisten bestimmten Personen oder Personengruppen gewidmet wurden, wobei mit der Widmung in Verbindung mit der künstlerischen Arbeit etwas Bestimmtes erreicht oder eine wichtige künstlerische Aussage gemacht werden soll. In der Regel soll die Gunst einer Person gewonnen werden. Die Motive dafür sind Liebe, der Wunsch nach Anerkennung, das Bewahren eines Andenkens oder auch das Ablegen eines politischen Bekenntnisses. So erzählt etwa der titelgebende Essay des Bandes von dem Versuch, durch die Zueignung des Werks eine verlorene Liebe wiederzugewinnen.
„Jede Note an Dich gerichtet!“, schreibt Gustav Mahler 1910 während der Proben für die Uraufführung der 8. Sinfonie in München an seine Frau Alma Mahler in Wien über sein Werk. Das Paar ist seit 1903 verheiratet, die Regeln für die Ehe, die unter anderem auch von Alma das Aufgeben ihrer kompositorischen Arbeit verlangten, hat Gustav in einem Brief vor der Heirat aufgestellt. Nach gemeinsamen Jahren mit Gustav, geprägt von dessen strengen Gesetzen und seinem geliebten Zustand der „splendid isolation“, der aus der Welt zurückgezogenen Arbeit an den Kompositionen, hat sich die unzufriedene Alma während eines Kuraufenthalts in den Architekten Walter Gropius verliebt. Als Gustav dieser Umstand bekannt wird, gerät er in Eifersucht und Rage. Die Widmung der 8. Sinfonie „MEINER LIEBEN FRAU ALMA MARIA“ als öffentliche Demonstration seiner Zuneigung ragt wie ein Monolith aus Mahlers übrigen Werken heraus, die ansonsten keiner bestimmten Person zugeeignet sind. Dass Gustavs Widmung zwar erfolgreich insofern war, als Alma bei ihm blieb, dass sie jedoch die Affäre mit Walter heimlich weiter fortsetzte und nach Gustavs Tod Walter heiratete, gibt dieser titelgebenden Geschichte des Bandes eine tiefe Tragik.
Es mag sein, dass den Lesern die Umstände, unter denen es zu den jeweiligen Widmungen kam, bereits bekannt sind. Ursula Schneewind versteht es jedoch, die Geschichten so zu erzählen, als höre man sie zum ersten Mal. Ihre profunde Sachkenntnis setzt Schneewind so ein, dass die Atmosphäre und die subjektiven Momente, aus denen heraus die Widmungen entstanden sind, für den Leser präsent werden. Nicht zuletzt gelingt ihr dies durch geschickte Montage von Zitaten und die Kontextualisierung der jeweiligen subjektiven Situation des Komponisten mit zeitgeschichtlichen Fakten. Im Falle der Mahler’schen Zueignung der Achten meint man, das fiebrig-flimmernde großbürgerliche Wien des Fin de Siècle mitzuerleben, das Wien, in dem Sigmund Freuds psychoanalytische Studien, Otto Weiningers polarisierendes Werk Geschlecht und Charakter und Arthur Schnitzlers Dramen die Gesellschaft seelisch in Aufruhr versetzten.
Ähnliches gelingt Schneewind auch in den Essays über Anton Schönbergs Widmung des Oratoriums Ein Überlebender aus Warschau, über Beethovens Eroica, über Alban Bergs der verstorbenen Manon Gropius gewidmetes Violinkonzert („Dem Andenken eines Engels“) und den weiteren vier Essays des Bandes. Schneewinds Beschreibungen beflügeln die Vorstellungskraft, sie vermitteln Information, ohne zu belehren, und sind äußerst lesbar geschrieben. Wer detaillierte musikwissenschaftliche Analysen erwartet, wird hier zwar womöglich eher enttäuscht werden, wer aber aus der Lust des Lesens heraus das eine oder andere Werk mit „biografisch gespitzten“ Ohren neu hören möchte, kann sich durch die Lektüre von „Jede Note an Dich gerichtet!“ hervorragend inspirieren lassen.
Beate Tröger

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