Honegger, Arthur

Jeanne d’Arc au bûcher

2 CDs

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Hänssler Classic CD 098.636
erschienen in: das Orchester 02/2014 , Seite 78

Der Live-Mitschnitt eines Konzerts, das 2011 im Rahmen der Bachakademie Stuttgart stattfand, präsentiert eines der bedeutendsten, aber auch widersprüchlichsten Werke der Oratoriengattung, wobei im Falle von Arthur Honeggers Jeanne d’Arc au bûcher die Gattungszuordnung nicht so eindeutig ist. Als „Dramatisches Oratorium“, wie es der Komponist bezeichnete, besitzt es einerseits stark opernhafte Züge und nähert sich andererseits mit seinen umfangreichen dialogischen und melodramatischen Passagen dem Mysterienspiel an, wobei wichtige Impulse wohl auch von Strawinskys Opern-Oratorium Oedipus rex ausgingen. 1938 entstanden auf Anregung von Ida Rubinstein, schildert es in elf Episoden die Erinnerungen der Jeanne d’Arc, die auf dem Scheiterhaufen noch einmal die Stationen ihres Lebens Revue passieren lässt. Den Prolog fügte Honegger erst 1944 hinzu und stellte damit einen deutlichen Bezug des Sujets zur aktuellen Situation im besetzten Frankreich her, der das Werk zu einem Symbol des Widerstands machte.
Honegger, der durch seine undogmatische Haltung, seine polystilistische Ästhetik und den expressiven Gestus seiner Werke eine gewisse Sonderstellung innerhalb der Groupe des Six einnimmt, schuf zu dem wortgewaltigen Libretto Paul Claudels eine Musik, die sich ganz bewusst dem Text unterordnet, dabei aber freilich auch zuweilen der Gefahr allzu illustrativer Untermalung nicht entgeht. Seine Erfahrungen mit Filmmusik
hinterlassen in der Partitur allenthalben ihre Spuren, und der zusätzliche Einsatz der Ondes Martenot verhilft dem Klangbild zu einem schaurig-schönen Schauder.
Allerdings ist es aber gerade die stilistische Uneinheitlichkeit, die Vermischung verschiedener musikalischer Idiome, die die Faszination des Werks ausmacht und es vor der Verflachung in bloßer religiöser Verzückung und patriotischer Emphase bewahrt. Der Kontrast von Gregorianik, simplen Volksliedern, Jazzanklängen und spätromantischem Pathos, die Verschränkung von einfacher tonaler Harmonik und komplexer Poly- und Atonalität, die facettenreiche Kombination von Sprech- und Singstimmen brechen die kompositorische Struktur immer wieder auf und
ermöglichen dem Hörer so erst die kritische Distanz.
In diesem Sinne entfaltet auch Helmuth Rillings Interpretation eine unpathetische, aber dennoch fesselnde Wirkung, die vor allem der differenzierten Klangbalance zu verdanken ist und eine Raumtiefe schafft, die szenische Dimensionen suggeriert. Neben den beiden Chören und dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR stehen ihm dabei hervorragende Solisten zur Seite, unter den zahlreichen Sprechrollen allen voran Eörs Kisfaludy als Frère Dominique und Sylvie Rohrer in der Titelrolle, die sich von Claudels Text allerdings manchmal zu einer etwas exaltierten Diktion hinreißen lässt. Das Gesangsensemble mit Karen Wierzba als La Vierge, Letizia Scherrer als Marguérite, Kismara Pessati als Cathérine sowie dem Tenor Jean-Noël Briend und dem Bassisten François Le Roux lässt keine Wünsche offen.
Klaus Angermann