Mäkelä, Tomi
Jean Sibelius. Poesie in der Luft
Studien zu Leben und Werk
Es muss schon einigermaßen erstaunen, dass es 45 Jahre dauerte, bis die verdienstvolle, oftmals aber auch apologetisch gestimmte, an originalen Quellen rare und im werkanalytischen Bereich diskussionswürdige Sibelius-Biografie von Ernst Tanzberger (Wiesbaden 1962) nun durch eine neue Publikation von Tomi Mäkelä zu Leben und Werk pünktlich zum 50. Todestag des Komponisten abgelöst wird. Das lange Schweigen ist dabei wohl hauptsächlich auf die nicht unbelastete Sibelius-Rezeption im deutschen Sprachraum zurückzuführen.
Doch auch die Forschungsbedingungen sind schwierig. Darauf macht Mäkelä bereits im Vorwort seiner umfangreichen Studie aufmerksam: Nur in Finnland und in finnischer Sprache ist fast alles zugänglich. Daraus resultiert eine sich von Nation zu Nation unterscheidende Rezeption, die bisweilen noch immer von ideologischem Ballast bestimmt wird wie hierzulande: Schlecht ist höchstens die Qualität der Rezeption in der deutschsprachigen Fachwelt. Eine Chance zur dauerhaften Aktualisierung des Sibelius-Bildes in Deutschland bildet die Betrachtung seines Schaffens im kulturellen und ideengeschichtlichen Zusammenhang.
In diesem Sinne geht es Mäkelä auch nicht um eine mit Dokumenten angereicherte Nacherzählung biografischer Stationen, sondern zum einen um die Rekonstruktion der Sibelius umgebenden (kultur)historischen Rahmenbedingungen, zum anderen um die Dekonstruktion tradierter Bilder und Urteile (beispielsweise denen von Walter Niemann und Theodor W. Adorno). So ist es der intimen Vertrautheit des Autors mit der finnischen Kultur zu verdanken, dass Aspekte wie etwa die Entdeckung der Kalevala eine Vertiefung erfahren, die die entscheidenden Wendungen in Sibelius Schaffen erst ins rechte Licht rücken eine Vertiefung, die nicht bei Sibelius als Person stehen bleibt, sondern sein Leben in einen weiten Kontext stellt: Binnen weniger Seiten gelangt man von Busoni über Herzogenberg zu Robert Fuchs und Karl Goldmark, um dann bei Kullervo auf die Cavalleria rusticana und den Sacre zu treffen.
Unter Einschluss genereller Fragestellungen gelingt es Mäkelä, aus Sibelius persönlicher Perspektive für die ersten Dezennien des 20. Jahrhunderts ein historisches Kontinuum zu entwerfen, das weit über den oftmals eng gefassten Begriff einer Biografie hinausgeht. Konsequent mutet es daher an, dass nur selten einmal einzelne Werke in den Fokus gerückt werden, wie auch kompositionstechnische Details kaum eine Rolle spielen.
Hier ist ein Buch entstanden, an dem die (Fach-)Literatur über Sibelius nicht vorbeikommen wird und das auch mit seinem stringent durchgehaltenen methodischen Ansatz einer von der Musik her und für die Musik gedachten kulturhistorischen Betrachtungsweise vorbildlich ist.
Michael Kube