Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft (Hg.)
Jahrbuch für Kulturpolitik 2010
Thema: Kulturelle Infrastruktur. Kulturstatistik, Chronik, Literatur, Adressen
Den entscheidenden Satz findet man bereits auf Seite 9: Die Erfahrung zeigt: Mit Kürzungen im Kulturetat kann man keine Haushalte sanieren! Er stammt nicht etwa von einem Kulturlobbyisten, sondern vom Staatsminister Bernd Neumann. Nichts wünschte man sich mehr als diese Einsicht auch bei den Finanzpolitikern! Denn das sagt Neumann in Anlehnung an den verstorbenen Bundespräsidenten Johannes Rau Kultur ist nicht das Sahnehäubchen, sondern die Hefe im Teig für unsere Gesellschaft.
Nun sind diese Einsichten nicht gänzlich neu, doch was den vorliegenden Band als ein Muss für die tägliche Arbeit wichtig macht, ist die Mischung aus Information (eine sehr breite Zusammenstellung von kulturpolitischen Ereignissen oder von Neuerscheinungen), ganz grundsätzlichen kulturpolitischen Beiträgen (sie können oft helfen, die eigenen Argumentationsketten zu überprüfen) sowie zusätzlich detailliert ausgearbeiteten Einzelfragen.
30 Einzelbeiträge sie können hier nicht auch nur annähernd vorgestellt werden. Deswegen sei nur auf Scheytts Pflichtaufgabe, Grundversorgung und kulturelle Infrastruktur, auf Mertens Deutsche Orchesterlandschaft im Wandel und Reubands Kulturelle Partizipation als Lebensstil hingewiesen. Scheytt arbeitet den metaphorischen Begriff von der Hefe im Teig klein, denn die Frage nach der staatlichen Verantwortung kann nicht grenzenlos sein. Aber: Wie definiert man dann den Begriff der Grundversorgung für alle!? Mertens zieht nach 20 Jahren deutscher Vereinigung Bilanz und die ist bedrückend: Während zwischen 1990 und 2010 in den westlichen Orchestern sieben Prozent der Planstellen eingespart wurden, waren es zur gleichen Zeit in Deutschland (Ost) 34,62 Prozent. Eine in der Tat erschreckende Bilanz, wenn man bedenkt, dass die kulturelle Partizipation in der DDR wesentlich besser abgesichert war, als sie es heute ist. Und mit der Partizipation befasst sich auch Reuband, indem er fünf unterschiedliche deutsche Städte untersucht und nach der Nutzung der verschiedenen Kultureinrichtungen auf dem Hintergrund von Alter, Bildung und Geschlecht fragt. Nur ein Ergebnis, das sich jetzt noch einmal empirisch belegen lässt: Die Generation der Klassikliebhaber erodiert, die Klassikliebhaber drohen langfristig auszusterben (sofern nicht durch besondere Maßnahmen in der Zukunft die jüngeren nachwachsenden Generationen an die Klassik herangeführt werden).
Eine Ausnahme bildet der eher irritierende Beitrag von Markus Rhomberg und Markus Tröndle, denn die Autoren beschäftigten sich mit 26 ausgewählten publizistischen Reaktionen (Tageszeitungen, Regionalzeitungen und Online-Plattformen) des recht erfolgreichen Tröndle-Buchs Das Konzert. Doch leider erhält man anschließend keine Informationen über die Auswahlkriterien der Zeitungen noch werden zahlreiche Aussagen genauer belegt. Wissenschaftlich ist dieses Verfahren nicht.
Dennoch: Wer genaue Hinweise auf den Kulturbetrieb in Deutschland (über das Jahr 2009 hinaus!) für seine Arbeit braucht, wird reichlich fündig mit genauen Daten, präzisen Analysen und klugen Interpretationen.
Hans Bäßler