Werke von Dejan Lazić, Natko Devčić und Ivan Matetić Rongjov
Istrian Rhapsody
The Choir of the Croatian Radio and Television, Ltg. Tomislav Fačini, Münchner Rundfunkorchester, Ltg. Ivan Repušić
Diese CD führt ihre Hörerinnen und Hörer auf gänzlich unbekanntes Terrain, wenn auch nicht unbedingt geografisch: Als Urlaubsregion ist die istrische Halbinsel, die wesentlich zu Kroatien, ein bisschen zu Slowenien und zu einem winzigen Teil zu Italien gehört, höchst beliebt. Von der istrischen Musiktradition hingegen weiß hierzulande leider kaum jemand etwas, ebenso wenig wie generell von der Musik Kroatiens oder Sloweniens. Der kroatische Dirigent Ivan Repušić ist zweifellos der Richtige, um für die klassischen Kompositionen seiner Heimat einzutreten: Er ist in Kroatien geboren und ausgebildet, war dort mehrere Jahre bei Orchestern und Theatern tätig und ist seit der Spielzeit 2017/18 Chefdirigent des exzellenten Münchner Rundfunkorchesters.
Für die vorliegende Aufnahme mit istrischer sinfonischer Musik hat sich Ivan Repušić mit seinem Landsmann, dem Pianisten und Komponisten Dejan Lazić, zusammengetan. Dessen raumgreifendes Klavierkonzert ist hier erstmals in einer Aufnahme verfügbar. Daneben sind die Istrische Suite von Natko Devčić und die Istrische Volkshymne von Ivan Matetić Rongjov zu entdecken. Dejan Lazić hat sein groß besetztes Klavierkonzert 2011 bis 2014 komponiert und 2021 revidiert, als er Artist in Residence des Münchner Rundfunkorchesters war. Das 36-minütige Werk ist der Tradition der osteuropäischen Moderne des frühen 20. Jahrhunderts verpflichtet, verarbeitet deutlich hörbar Melodien und Rhythmen der istrischen Volksmusik und erinnert mit seiner rhythmischen Kraft an Bartóks Klavierkonzerte. Zugleich zitiert Lazić, der das Konzert selbst spielt, bekannte Anagramme der Musikgeschichte, von denen vor allem die Tonkombination D-S-C-H (für Dmitri Schostakowitsch) prominent zu erkennen ist. Doch Lazić komponiert nicht eklektizistisch, sondern vielseitig, satztechnisch versiert und mitreißend. Die Virtuosität, auch im kraftvoll auftrumpfenden Münchner Rundfunkorchester, kommt nicht zu kurz.
Natko Devčić (1914–1997) gehört zu den bedeutendsten kroatischen Komponisten des 20. Jahrhunderts und hat auch als Pädagoge die Musikkultur seines Landes wesentlich geprägt. Volksmusik spielt vor allem in seinen früheren Werken eine zentrale Rolle, auch in der Istrischen Suite von 1946, einer spätromantisch-folkloristischen Komposition in vier Sätzen. Auf das strahlende Präludium folgen ein wilder Springtanz und ein fahles Wiegenlied mit großem Englischhorn-Solo. Im Finale wird die Melodie in den für die istrische Volksmusik typischen Terzen geführt. Mit der Istrischen Volkshymne von Ivan Matetić Rongjov (1880–1960) in zwei Versionen für Doppelrohrblattinstrumente, Chor sowie als kurze „Alteration“ von Dejan Lazić endet diese hörenswerte CD voller Entdeckungen.
Johannes Killyen