Eva Rieger

Isolde

Richard Wagners Tochter. Eine unversöhnliche Familiengeschichte

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Insel Verlag, Berlin
erschienen in: das Orchester 6/2023 , Seite 65

„Die Kindheit blieb ihr ein Hort des Glücks“, schreibt Eva Rieger über jene Tochter Richard Wagners, die als Lieblingstochter seiner Frau Cosima galt. Geboren noch unter dem Dach von Hans von Bülow, des damaligen Ehemanns von Cosima, war das erste Kind Richard Wagners, Isolde von Bülow, in den Augen ihres leiblichen Vaters dessen „wunderliches Wunderkind“. „Viele Talente, aber keine Freude an der Ausübung derselben“, wurde dem zunächst fügsamen Kind bescheinigt, das sich im Laufe der Jahre immer mehr auf der Suche nach Abgrenzung befand, wobei Mutter Cosima dessen Streben nach Freiheit als „ein[en] Irrweg“ bezeichnete.
Neben Cosima Wagners Töchtern aus ihrer Ehe mit Hans von Bülow, Daniela und Blandine, wächst Isolde als eine der drei „Wagner-Prinzessinnen“ in dem kunstaffinen Milieu der Bayreuther Villa Wahnfried auf, wo der Vater vergöttlicht und glorifiziert wird. Isolde dichtet und komponiert schon in frühen Jahren; sie malt und erschafft Theaterkostüme. Die drei Töchter wachsen „gesittet“ auf und werden sich dann später auf die Suche nach standesgemäßen Verbindungen zwischen Adel und Großbürgertum begeben.
Die Entfremdung zwischen Isolde und ihrer damaligen „Bilderbuchfamilie“ begann, als sie sich in den Pianisten und später im Ausland gefeierten Wagner-Dirigenten Franz Beidler verliebte, der als Korrepetitor und Pianist auf dem Grünen Hügel weit unter seinen Fähigkeiten eingesetzt wurde. „Er habe die Tochter bekommen, obwohl er zu niedriger Sphäre gehöre“, stellte Beidler verbittert dazu fest, als Cosima Wagner nach Richard Wagners Tod ab 1884 selbst die Festspielleitung übernahm. Sein widerspenstiger Charakter schadete ihm immens im hierarchisch ausgerichteten Festspielbetrieb, in dem für „den Angestellten Musikalischen Assistenten Beidler“ nach diversen Machtkämpfen Dirigierverbot galt.
Vom Vermögen des Wagner-Clans wurde das Ehepaar Beidler ausgeschlossen – einen entsprechenden Prozess verlor die fast 50-jährige Isolde. Sie musste erleben, wie man sie um den Familiennamen Wagner und um ihr Vermögen betrog. Familienintrigen, Krankheiten und Finanzsorgen prägten ihr Leben.
Eva Rieger beschreibt – nach neuentdeckten Quellen aus dem Nachlass von Isoldes Ehemann – sehr empathisch Schicksal und Lebensumstände einer „Höheren Tochter“, die um 1900 bereits auch mit dem strukturellen Wandel von Chancen und Verboten für Frauen konfrontiert wurde. Isolde, Lieblingstochter von Richard Wagner und Enkelin von Franz Liszt, musste erleben, dass die Benachteiligung von Frauen selbst in der Familie Wagner fortgesetzt wurde.

Dagmar Zurek