Schreker, Franz
Irrelohe
Opera in 3 Acts, 3 SACDs
Sie sind Klangfanatiker und Klangkünstler der Komponist, die Interpreten, die Produzenten. Und sie treffen sich auf Augenhöhe. Franz Schreker, dem Ich komme von der Musik her als opern- und schaffensästhetische Prämisse galt und dem der reine Klang, ohne jede motivische Beigabe, eines der wesentlichsten musikdramatischen Ausdrucksmittel war. Der Bonner GMD Stefan Blunier, der seinem Orchester mit Repertoire-Raritäten und einer opulenten Klangkultur ein neues musikalisches Bewusstsein erschloss. Und das Label MDG, das Klangwiedergabe in größter Natürlichkeit und Lebendigkeit zum Ziel hat und dies mit dem Beethoven Orchester bei Franz Schmidt, Schönberg, Respighi und dAlbert auch schon bewies.
Irrelohe ist ein Werk des Zufalls, der Zusammenfassung, der Wende. Den Namen des oberpfälzischen Ortes Irrenlohe hat Schreker während einer Bahnreise im Halbschlaf vernommen; die Chiffre Irre-Lohe entzündete seine Fantasie derart, dass er das Libretto innerhalb weniger Tage zustande brachte. Viele Motive früherer Stücke kehren da vor dem Hintergrund des alten Schicksalsdramas mit seinen Prophezeiungen, mystischen Zufällen, Erbflüchen, Bruderzwisten und Schlossbränden (Hans Mayer) wieder. Doch erstmals wird den vom Leid Gezeichneten auch Erlösung zuteil nicht durch die Zündler, die Vergewaltigung und Schmach durch Feuer rächen. Wohl aber durch die naive, reine Försterstochter Eva keine Femme fatale wie sonst , deren hingebungsvolle Liebe den Schlossherrn Heinrich von Irrelohe läutert und vom Fluch befreit. Darum die Dehmel-Worte Aus dumpfer Sucht zu lichter Glut über der Partitur.
Das Komponieren in den Jahren 1919 bis 1924 aber war ein langer Zeitraum für Schreker, den man wohl den großen Veränderungen, die diese Jahre mit sich bringen, zuzuschreiben hat (Haidy Schreker-Bures). Und so wählt die Musik nicht nur schwebende ferne Klänge, schillernde Farben und gleißende Flächen, Chromatik, Polytonalität und ein fortwährendes Espressivo als bevorzugte Ausdrucksmittel für geheimnisvoll Seelisches, sie stellt sich auch auf einen anderen Ton ein den neuer Sachlichkeit , der sich hier mit Kontrapunkt, Reihenthema und Montagetechnik dem Kunstideal der 1920er Jahre zuwendet und alle nachfolgenden Stücke prägt. Da aber schwindet der Riesenerfolg.
Die Liveaufnahme von Irrelohe wird dank eines hervorragenden Solisten-Ensembles und der exzellenten Chor- und Orchesterleistung zu einem wahren Klangfest, das freilich nie in orgiastische Rauschzustände abdriftet. Vokal wie instrumental lässt Blunier melodischen Zauber blühen und Kontraste wirkungsvoll aufeinandertreffen, er zeichnet dramatische Erregungskurven intensiv nach und gewinnt dem Stimmungsreichtum der Musik das adäquate, farbig raffinierte Klangbild ab. Der grandiosen Einspielung mit Peter Gülke und den Wiener Symphonikern (1995, Sony) verschafft er mit solchen Qualitäten angemessen Gesellschaft, dem Plattenrepertoire einen bedeutsamen Gewinn und der Schreker-Renaissance einen weiteren Glanzpunkt.
Eberhard Kneipel