Croll, Gerhard und Renate

Gluck

Sein Leben – Seine Musik

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2010
erschienen in: das Orchester 01/2011 , Seite 63

Betrachtet man die große musikgeschichtliche Bedeutung des Opernreformators Christoph Willibald Gluck, so überrascht im Verhältnis dazu die relativ geringe Anzahl von Publikationen, die sich nicht nur mit Teil-aspekten von Leben und Werk, sondern einer Gesamtschau widmen. Schuld daran ist sicher auch die unsichere Quellenlage: Über die Jugend und frühe Ausbildungszeit bis hin zu Glucks Universitätszeit ist wenig Gesichertes überliefert. Ebenso sind eine ganze Reihe seiner unzähligen Opern, die in Italien entstanden, gar nicht oder nur in einzelnen Nummern greifbar. Nun haben sich Gerhard Croll, der frühere Leiter der Salzburger Gluck-Forschungsstelle, der zudem von 1960 bis 1990 Editionsleiter der Gluck-Gesamtausgabe war, und seine Frau Renate Croll daran gemacht, ihre rund 50-jährige Beschäftigung mit Leben und Werk des Komponisten in einem sehr informativen Band festzumachen.
Sogar das Geburtsdatum Glucks ist nicht zweifelsfrei gesichert, der Komponist selbst gab den 2. Juli 1714 an. Auch wenn es über die Jugend- und Studienjahre Glucks, die die Crolls von 1730 bis 1737 veranschlagen, keine Dokumente gibt, zeichnet der Band dennoch ein an den späten Erinnerungen des Jugendfreundes von Gluck, Johann Christian von Mannlich, angelehntes Bild des oberpfälzischen Komponisten, der nach Auseinandersetzungen mit seinem Vater – dieser sah ihn als Förster in seinen eigenen Fußstapfen und nicht als Musiker – mit 16 Jahren aus dem Elternhaus floh. Immerhin beweist die Immatrikulation Glucks 1731 an der Univer­sität Prag, dass er ein Gymnasium besucht haben musste, eine Voraussetzung für eine Universitätsausbildung. Obwohl die frühen Jahre des Musikers weitgehend im Dunkeln liegen, gelingt es den Autoren, aus den spär­lichen Informationen und den genauen historischen Kenntnissen ein Bild zusammenzusetzen, das nahe an der Wirklichkeit sein dürfte.
Zu welch europäischem Musiker Gluck wurde, unterstreicht eine Karte, die die Reisewege des später so Erfolgreichen nachzeichnen hilft. Nach den ersten Opernerfolgen in Mailand und Venedig geht Gluck nach London, in der Hoffnung, an die Erfolge in Italien anzuknüpfen. Gerhard und Renate Croll setzen sich intensiv mit der Begegnung Glucks mit Händel auseinander und der daraus resultierenden, oftmals gegensätzlich gedeuteten Anekdote. Der Band zeichnet die Wanderjahre Glucks detailreich nach, bis es diesem gelingt, sich in Wien zu etablieren. Ab 1761 wird er in Wien zum bedeutendsten und einflussreichsten Opernkomponisten seiner Zeit. Die darauffolgende Jahre in Paris steigern seinen Ruhm zudem. Die Crolls zeichnen das reformatorische Opernschaffen des Komponisten facettenreich nach und untermauern so die bis weit ins 19. Jahrhundert reichende Bedeutung des Openreformators, vom dem sich auch Wagner noch beeindruckt zeigte. So gelingt es dem Autorenehepaar, einen höchst lebendigen, kenntnisreichen Überblick über die Entwicklung der Persönlichkeit eben-so wie des musikdramatischen Schaffens Glucks zu zeichnen, wobei die Zurückhaltung der heutigen Opernbühnen dem Werk Glucks gegenüber – von wenigen Ausnahmen abgesehen – schwer verständlich wird.
Walter Schneckenburger