Gluck, Christoph Willibald

“Iphigenia in Aulis” in der Bearbeitung von Richard Wagner

2 CDs

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Oehms Classics OC 953
erschienen in: das Orchester 07-08/2014 , Seite 79

Christoph Willibald Gluck setzte mit seiner „Opernreform“ im 18. Jahrhundert Impulse für eine neue Ästhetik. Dass Richard Wagner ihn schätzte und seine Iphigenia in Aulis von 1774 bearbeitete, spricht nur für Glucks Qualität. Wagner übersetzte das französische Libretto und kürzte das Werk um etwa ein Viertel. Diese Fassung wurde 1847 in Dresden uraufgeführt. Da hatte Wagner schon seinen Fliegenden Holländer und Tannhäuser komponiert und schrieb bereits an Lohengrin.
Eine Frau rettet den Vater, einen Mann, rettet das griechische Volk, sie opfert sich. Es wundert nicht besonders, dass Wagner sich von Glucks Iphigénie en Aulide angesprochen fühlte, spielen doch in jedem seiner Bühnenwerke Frauen für Männer genau diese Rolle. Sie sind Projektionsobjekte und Retterinnen.
Den Konflikt löst Agamemnon aus. Er tötet einen Hirsch der Jagdgöttin Artemis und rühmt sich, ein besserer Jäger als sie zu sein. Die beleidigte Artemis straft die griechische Flotte in Aulis darauf mit Windstille, sodass die Weiterfahrt in den trojanischen Krieg gestoppt wird. Agamemnon soll zur Sühne seine Tochter Iphigenie opfern. Vaterliebe oder Staatsräson? Ein typischer Konflikt in den Opern des 18. Jahrhunderts. Achill, der Verlobte Iphigenies, beschimpft Agamemnon als grausam und will Iphigenie retten. Agamemnon bringt es nicht übers Herz seine Tochter zu töten, doch sie opfert sich bereitwillig. Artemis ist versöhnt und entführt Iphigenie in einer Wolke: Sie soll ihre Priesterin werden. Das ist Wagners Schluss, bei Glucks Original finden Achill und Iphigenie zusammen.
Wagner straffte Glucks Fassung und strich fast sämtliche Instrumentalmusiken. Das zeigt, woran er in den 1840er Jahren arbeitete: an seiner Idee von Musikdrama, und das war erstens durchkomponiert – und keine Nummernoper wie bei Gluck –, und zweitens richtete es den Fokus auf psychische Konflikte der Figuren. So komponierte Wagner aus motivischem Material von Gluck Übergänge zwischen den Arien und Chören, um eine zwingendere Dramaturgie zu erreichen. Glucks Harmonik änderte Wagner zwar nicht, aber er verlangte ein romantisches Orchester: mehr Hörner und zusätzlich Posaunen. Er verdoppelte manche Streicher und veränderte zum Teil die Stimmführung. Das Ergebnis: ein romantischer Klang.
Christoph Spering sorgt am Pult seines Ensembles „Das Neue Orchester“, das auf Instrumenten der Wagner-Zeit spielt, für Durchsichtigkeit und dramatische Wucht, besonders im sich zuspitzenden zweiten Teil.
Das Sängerensemble ist exzellent. Camilla Nylund als Iphigenie vermittelt überzeugend die dramatischen wie lyrischen Momente und damit die inneren Konflikte der Figur. Dem steht Bariton Oliver Zwarg als Agamemnon in nichts nach, während Christian Elsner mit seinem Tenor dem aufbrausenden Achill den nötigen Furor verleiht.
Glucks Iphigenia in Aulis in der Fassung von Richard Wagner zeigt einerseits, welch innovatives Potenzial im Opernreformer Gluck steckte, und wirft andererseits ein Licht auf Wagners Inspirationsquellen.
Elisabeth Richter