Saint-Saëns, Camille

Introduction et Rondo capriccioso

für Violine und Orchester op. 28, Partitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2009
erschienen in: das Orchester 02/2010 , Seite 68

Im Jahr 1859 begegneten sich in Paris erstmals der 15-jährige angehende Geigenstar Pablo de Sarasate und der Komponist Camille Saint-Saëns. Kaum 25 Jahre alt, hatte dieser sich bereits als Pianist, Organist sowie mit einer Reihe elegant-klassizistischer, durch Brillanz und Virtuosität gekennzeichneter Kompositionen einen Namen gemacht, sodass Sarasates Auftrag an Saint-Saëns, für ihn ein Violinkonzert zu schreiben, beiden Künstlern zur Ehre gereichte. Diesem Werk – Saint-Saëns’ Opus 20 – ließ der Komponist 1863 eine weitere Sarasate gewidmete Komposition folgen, die seither zu Saint-Saëns’ beliebtesten Arbeiten zählt: Introduction et Rondo capriccioso op. 28. Nach melancholischem Entrée entlädt sich im Rondo nicht allein ein Feuerwerk geigerischer Artistik, sondern auch Saint-Saëns’ Affinität zu „espanoladas“, Anklängen an spanische Folklore, die im damaligen Paris sehr populär waren. Melodischer und rhythmischer Duktus des Rondo capriccioso gemahnen an die Seguidilla, eine Lied- und Tanzform, die von Bizets Carmen bis zu Ravels Alborada del Gracioso viele Anverwandlungen erfahren hat.
Partitur und Stimmen zu Saint-Saëns’ populärem Werk liegen nun in einer Neuausgabe des Verlags Schott vor. Zum Vergleich kann die zu Lebzeiten des Komponisten erstveröffentlichte, mehrfach wiederaufgelegte und noch heute im Katalog befindliche Ausgabe des Verlags Durand (Ricordi) herangezogen werden. Ob die Schott-Editoren Maria Egelhof – Violinprofessorin an der Lübecker Musikhochschule – und Wolfgang Birtel – ein musikalischer Allrounder mit beachtlichem Aktionsradius – auf das Autograf rekurrieren, d.h. die Durand-Ausgabe kritisch gegenlesen konnten beziehungsweise wollten, bleibt unklar. Editorisches Hauptziel scheint gewesen zu sein, das Werk im Programm eines führenden deutschen Verlags zu platzieren und es dadurch Nutzern – nicht zuletzt Orchestern – zu ermöglichen, Stimmenmaterial des Werks, das es bis dato nur leihweise gab, käuflich zu erwerben. Ein völlig legitimes Anliegen, das andererseits eine Ausgabe generiert hat, die wie ein flüchtiger Nachdruck des Durand-Textes ohne die geringste kommentierende Ergänzung anmutet. Warum kein Vorwort oder zumindest eine Randnotiz, worin die editorische Intention bestand?
Wenn es so sein sollte, wie vermutet, bleiben Ungenauigkeiten zu vermerken: Man mag sich wünschen, dass es sich hierbei um Korrekturen des Durand-Textes im Rückgriff auf den Urtext handelt. Oder wurden lediglich beim Abkupfern der Durand-Ausgabe Details übersehen? In den Takten 12 bis 18 spielen – laut Durand – die Celli p, die Kontrabässe pp. Hier vereinheitlicht die Schott-Ausgabe ebenso wie in den Takten 90 und 94: Bei Durand findet sich die dynamische Angabe sfpp lediglich in den oberen Streichern, bei Schott in allen Streicherstimmen. Dass die Streicher ab Takt 152 im – gegen die Solostimme triolisierenden – 6/8-Takt verbleiben, hätte kaum der herausgeberischen Hinzufügung bedurft.
Gerhard Anders