Großmann, Stephanie

Inszenierungsanalyse von Opern

Eine interdisziplinäre Methodik

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Königshausen & Neumann, Würzburg 2013
erschienen in: das Orchester 09/2013 , Seite 67

In ihrer Dissertation greift Stephanie Großmann ein Dilemma der Besprechungs- und Analysepraxis auf: Denn bei der Oper versagen eindimensionale Kriterien, um zur Bedeutungstiefe via Kritik in den Medien
zu gelangen. Hier steht die Musik (Partitur) im Vordergrund, dort das Ensemble und dessen stimmliche Leistungen; hier setzt sich jemand mit dem Libretto, also mit Wort/Sprache eines komplexen Werks auseinander, dort mit der konkreten Aufführung und ihren dramaturgischen Wendungen; hier ist es der (dominierende?) Dirigent, dort das Bild, in dem Geschichte und Aktualität untergebracht werden. Angesichts fortschreitender Verkürzungstendenzen zumindest bei Tageszeitungen/Feuilletons kann kaum ein Rezensent auf alle Fragen einer Multimedia-Präsenz in Sachen Oper/Musiktheater eingehen.
Deshalb alle Achtung vor dem Mut Großmanns, zumindest an rund 15 Produktionen die interdisziplinäre Problematik aufzublättern. Für einen geschärften Vergleich wertet sie Herzog Blaubarts Burg an verschiedenen Häusern aus. Man könnte deshalb auch fragen, inwieweit Regisseure oder auf der anderen Seite Kritiker überhaupt vom Wissen und von der Kompetenz her in der Lage sind, Konzepte gesamtheitlich vorzustellen bzw. sie in ihrem Wechselspiel von Gestern und Heute zu beurteilen. Das wird aus Sicht der Wissenschaft und Forschung immer eine Streitfrage bleiben. Dessen ist sich wohl auch die Autorin bewusst, obwohl sie eine Methodik der Inszenierungsanalyse entwickelt, die die Bedeutungs- und Kunstebenen berücksichtigt und transparent macht. Ein spannender, wissenschaftlich handfester und nachvollziehbarer Ansatz.
Besonders gelungen ist daher die „Beispielanalyse“ bei Inszenierungen von Béla Bartóks Blaubart mit Philipp Himmelmanns Mannheimer, Chris­tof Nels Stuttgarter und Robert Wilsons Salzburger Deutung. Wie unterschiedlich fallen diese Leuchtturm-Projekte der jeweiligen Institutionen aus?! Wie das Schloss Seelenzustände spiegelt, wie Blaubart und Judith als Zeichen für „Männliches“ bzw. „Weibliches“ in den Fokus rücken, wie Klangräume durch die Musikschichten erweitert werden, wie „statische“ (Kostüm/Maske u.a.) oder „bewegte“ Zeichen (Lichtstimmungen beispielsweise) stilbildend eingesetzt werden, wie alle szenischen Interpreten eine zugleich sinnliche wie geistige Ebene für ihre Sicht ansteuern – das wird von Großmann sehr genau und im ständigen Dialog zwischen Vorlage und aktueller Deutung beobachtet, analysiert und kommentiert.
Das Ganze: Ein anspruchsvolles, vielschichtiges Anleitungs- und Durchleuchtungssystem, wie Oper funktioniert, wie sie auf uns wirkt, wie Spiel und Theorie auf eine Ebene gebracht werden können. Die interdisziplinäre Problematik wird von Großmann als Chance für jeden gesehen, sich mit all den mehr oder weniger wichtigen Bauteilen des so komplizierten wie aufwendigen „Räderwerks Musiktheater“ zu beschäftigen. Eine „kleine“ Schwachstelle des Buchs sind die wenigen und kleinformatigen Fotos. Für wen dieses Buch geschrieben wurde: für alle, die an der heutigen Praxis der über 400 Jahre alten Oper als Laie oder Experte interessiert sind. Die Methodik-Fragen geraten da schon einmal in den Hintergrund.
Jörg Loskill