Sánchez-Verdú, José M.

Inscriptio

(Deploratio IV) für Klarinette in B oder Bassklarinette

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2011
erschienen in: das Orchester 02/2012 , Seite 71

José M. Sánchez-Verdú ist einer der prominentesten zeitgenössischen Komponisten Spaniens. Vor nicht allzu langer Zeit konnte man seinen Werken bei den Ostertönen 2011 in Hamburg begegnen. Der 1968 in Algeciras geborene Komponist wurde zunächst in Madrid ausgebildet. Er erweiterte seine Studien bei Franco Donatoni und Hans Zender. Viele seiner Werke wurden mit internationalen Kompositionspreisen bedacht. Inzwischen ist Sánchez-Verdú, der von 2001 bis 2008 Dozent für Komposition an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf war, Professor für Komposition am Conservatorio Superior de Música de Aragón im spanischen Zaragossa. Sein Werkkatalog ist äußerst umfangreich und zeigt in Werktiteln immer wieder Bezüge zur arabisch-maurischen Tradition seines Heimatlandes. Eine besondere Beziehung hat er zur Kalligrafie. Sie dient ihm als abstraktes Prinzip seines Komponierens.
So sind es feine Zeichen, die die Musik des Solostücks für Klarinette Inscriptio bestimmen, das Sánchez-Verdú in Erinnerung an den 2005 verstorbenen Klarinettisten und Saxofonisten des Ensemble Modern, Wolfgang Stryi, geschrieben hat und zum Untertitel „Deploratio“ geführt hat.
In dem gut fünf Minuten dauernden Stück dominieren einerseits Tonrepetitionen mit sehr hohem Luftanteil, sodass nur ein „Tonschatten“ zu vernehmen ist, und andererseits Töne, deren Klangqualität zur einen Hälfte aus einem Ton, zur anderen Hälfte aus Luft bestehen soll. So entsteht eine durchweg leise Musik, die in unablässiger Bewegung ist, dabei aber deutlich in zwei Klangebenen getrennt ist. Dies scheint dem Schriftbild zu entsprechen: Aus einer gleichförmigen horizontalen Linie im Chalumeau-Register, aus der nur einige Akzenttöne hervortreten, stoßen oft sprunghaft kurze Töne in der hohen Lage hervor, die man mit den langen Buchstabenschäften in Verbindung bringen kann. Die akribisch notierten rhythmischen Verläufe sind exakt im tempo metronomico auszuführen, so wie die Schriftzeichen einer strengen geometrischen Ordnung unterliegen.
Die Vielfalt der ornamentalen kalligrafischen Zeichen spiegelt sich in der Vielfarbigkeit der klanglichen Transformationen, die alle Arten der Klangerzeugung und Veränderung erfassen: Neben den erwähnten geräuschhaften Tönen mit unterschiedlichem Luftanteil gibt es Flageoletttöne, Mehrklänge, Vierteltöne u.a.
Inscriptio von José M. Sánchez-Verdú ist eine Komposition für Spezialisten für Neue Musik und hebt sich besonders durch ihre kompositorische Idee und die Konzentration im Material von vielen anderen zeitgenössischen Solostücken ab.
Heribert Haase