Ruzicka, Peter

Ins Offene …

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Thorofon CTH 2509
erschienen in: das Orchester 11/2008 , Seite 63

Tatsächlich Ins Offene … weist Peter Ruzickas Musik für 22 Streicher, wie es der programmatische Titel der 2005/06 entstandenen Komposition verspricht. Unaufhaltsam unwuchtig vorantreibende Klangfelder werden durch bohrende Einzeltöne, Pausen und sphärische Akkorde perforiert, ehe der musikalische Prozess in tonloses Streichen auf dem Korpus mündet. Der nach der Uraufführung angefügte cantusartige Klangstrom allerdings erhebt sich daraus als überraschend kontrastierendes Moment, das den Eindruck eines Schlusses überstrahlt und im zeitlich wie auch räumlich Unbegrenzten fortzuklingen scheint.
Da der Werkname auf Friedrich Hölderlins Elegie Der Gang aufs Land zurückgeht, gibt der Komponist zugleich einen tiefgründigen Zusammenhang mit seiner neuen Oper Hölderlin zu erkennen, die ab November dieses Jahres an der Berliner Staatsoper Unter den Linden zu erleben ist.
Ein weiterer direkter Bezug zu diesem Musiktheaterwerk findet sich im 2004 geschaffenen 5. Streichquartett, denn das mit Sturz überschriebene Opus legt schon durch seine Bezeichnung eine Verbindung zu Hölderlins Empedokles nahe. Farblich bemerkenswert ähnliche, höchst differenzierte, feinsinnig ausgehörte Klanggewebe prägen die – laut Partitur – von „absoluter Stille“ umrahmte Komposition. Nach Verdichtung und Intensivierung der melodischen Partikel deuten kataraktartige Bewegungen sowie Tendenzen der Erstarrung auf den angekündigten Umschwung zur Tiefe, bevor wiederum über wischende, atmende Geräusche auf dem Resonanzkörper das musikalische Geschehen allmählich ganz zum Erliegen kommt.
Die dritte Begegnung mit der Gedankenwelt Hölderlins schließlich erfolgt über die Vertonung von fünf literarischen Fragmenten. Unter der Überschrift …und möchtet ihr an mich die Hände legen… entfalten diese 2006/07 geschriebenen Stücke für Bariton und Klavier wirkungsvolle Gestaltungsmöglichkeiten, die vom melodramatischen „Was ist Gott?“ bis zum fast unbegleitet gesetzten „Mein Bild“ reichen. Stets bewegt sich die spürbar organisch ausschwingende Vokalstimme hier unweit der Sprachmelodie, während das Klavier faszinierend assoziative Klangräume kreiert.
Die gleichen Grundpositionen des Wort-Ton-Verhältnisses vertritt Peter Ruzicka in seinen Acht Gesängen nach Fragmenten von Nietzsche (1992/2007). Der von ursprünglich vier Liedern getragene Zyklus für Bariton (Mezzosopran) und Klavier, der zudem in einer Orchesterversion vorliegt, umschließt auch kurzzeitig präsente tonale Relikte. Die daraus hervorgehenden Todesahnungen berühren Stimmungen aller anderen eingespielten Werke, einschließlich Tombeau für Flöte und Streichquartett aus dem Jahr 2000, sodass sich die mannigfaltigen Eindrücke dieser Porträt-CD zu einem erstaunlich einheitlichen Gesamtbild runden.
Christoph Sramek