Martin, Frank

In terra pax / Pilate / Golgotha

Paradisi Gloria

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Edition Günter Hänssler, PH 04037, 3 CDs
erschienen in: das Orchester 02/2006 , Seite 84

Der geistlichen Musik des 20. Jahrhunderts war eine im Jahr 2000 zusammen mit der Erzdiözese München und Freising gestartete Konzertreihe des Bayerischen Rundfunks gewidmet: „Paradisi gloria“. Den Titel der Konzertserie trägt auch die CD-Box, die die drei im Rahmen dieser Konzerte aufgeführten geistlichen Oratorien von Frank Martin zusammenfasst. Sie darf als editorischer Glücksfall angesehen werden, denn es sind in der Tat Raritäten des Repertoires, und die Livemitschnitte in einer CD-Produktion zu präsentieren, ist verdienstvoll.
In Frank Martins Musik spiegelt sich eine zutiefst gläubige Überzeugung, die seinen Werken einen ganz persönlichen Stempel aufdrückt. In terra pax entstand 1944 als Auftragskomposition von Radio Genf, zu senden am Tag des Waffenstillstands. Martin hat eine durchweg düstere und eindringliche Partitur geschrieben, in der die Hoffnung nach Frieden in jedem Takt spürbar ist. Die lichten Stellen des Pax fallen dagegen stimmungsmäßig eher zurückgenommen aus.
Marcello Viotti, dem das „Paradisi Gloria“-Projekt eine Herzensangelegenheit war, vermag mit dem Münchner Rundfunkorchester und dem Chor des Bayerischen Rundfunks groß angelegte Tableaus mit starken Wirkungen aufzubauen. Farbige Passagen in gemäßigter Harmonisierung stehen neben ruhigen, bedrohlich-wirkenden und monochromen Abschnitten. Die Solisten deklamieren den französischen Text vorbildlich und fügen sich mit expressiven, ausdeutenden Partien ein – Höhepunkt sicher das packende Quintett „Réveille-toi, peuple de Dieu“, eine damals durchaus auch politisch zu verstehende Aufforderung.
Dass insbesondere Johann Sebastian Bach Martin als Oratorienvorbild gedient hat, zeigt sich nicht nur in der Verwendung spezieller Satztechniken, sondern auch in der Wortausdeutung, in der sublimen Umsetzung von Text in Musik. Auch Ulf Schirmer vermag in seiner Pilate-Interpretation gleichermaßen die Oratorienmusik ergreifend umzusetzen. 1964 entstanden, wirkt diese Partitur moderner, durchsetzt von stärkeren Orchestereffekten, im Deklamatorischen des Vokalteils progressiver. Auch hier überzeugen die Solisten – die Vielzahl der in den drei Konzerten eingesetzten zu nennen, würde den Rahmen sprengen – wie schließlich im umfangreichsten dritten Oratorium, der Passionsgeschichte Golgotha, nun wieder von Marcello Viotti geleitet. Hier gilt es insbesondere den Chor herauszuheben, der den vorzüglichen Solisten mit einer geschlossenen und ausdrucksstarken Leistung ebenbürtig ist: sei es als Erzähler oder – in griechischer Tradition – in kommentierender Funktion.
Das Affirmative dieser Musik, der von Religiosität getragene Duktus kommen in der Münchner Produktion unmittelbar zum Tragen. Die Tontechnik hat in der Aufbereitung der Livemitschnitte gute Arbeit geleistet. Schade nur, dass das Beiheft so karg ausgefallen ist: Wer hat schon einen Klavierauszug eines Martin-Oratoriums im Schrank stehen oder kann die französisch gesungenen Texte ohne mitzulesen „verstehen“ – in doppeltem Sinne?
Wolfgang Birtel