Johannes Schild
„In meinen Tönen spreche ich“
Brahms und die Symphonie
„Ich werde nie eine Symphonie komponieren! Du hast keinen Begriff davon, wie es unsereinem zu Mute ist, wenn er immer so einen Riesen (Beethoven) hinter sich marschieren hört.“ Aus diesen vielfach zitierten Worten von Johannes Brahms, welche durch seinen ersten Biografen Max Kalbeck überliefert wurden, spricht deutlich, wie schwer sich der große Meister auf seinem Weg zum Sinfoniker getan hat. Von seinen ersten Versuchen machte Brahms einen Rückzieher. Erst im Alter von 43 Jahren wagte er sich – begleitet von unzähligen Zweifeln und jahrelangem Ringen – mit seiner Sinfonie Nr. 1 op. 68 an die Öffentlichkeit.
Allein diese geradezu ambivalente Beziehung zwischen Brahms und der wichtigsten Gattung der Instrumentalmusik begründet das auch heute noch ungebrochene wissenschaftliche Interesse an Brahms’ Rolle als Sinfoniker. Ein beeindruckendes Resultat dieses Interesses liefert der vorliegende Band von Johannes Schild: In einer Mischung aus historischen und musikanalytischen Betrachtungen deckt der Autor grundlegend neue Aspekte im Verständnis von Brahms’ Sinfonik auf. Besondere Aufmerksamkeit erregt die Erörterung von Einflüssen Richard Wagners auf Brahms’ sinfonisches Schaffen – dies vor allem vor dem Hintergrund, dass Brahms landläufig als entschiedener Gegner der Neudeutschen Schule um Wagner und Franz Liszt gilt. Dementsprechend bedarf es einer grundlegenden Analyse der Hintergründe, was dem Autor in vorzüglicher Weise gelingt.
So analysiert Schild anhand zahlreicher Quellen, dass Brahms’ Abneigung gegen die Neudeutsche Schule mehr als eine Anti-Liszt-Haltung und weniger als eine Anti-Wagner-Haltung zu werten ist. Vielmehr – so belegt der Autor unter Verweis auf diverse Briefquellen – stand Brahms dem Wagner’schen Schaffen mit Hochachtung gegenüber. Dies blieb Schild zufolge „zeitlebens eine Konstante in seiner Musikanschauung“. Die angesprochenen Wagner-Bezüge nehmen zudem einen beträchtlichen Teil der musikanalytischen Betrachtungen ein und werden durch den Autor unter Hinweis auf die jeweiligen Fundstellen in den Werken konkret benannt. Mit einem Umfang von über fünfzig Seiten gestattet der Anmerkungsapparat eine umfassende Nachprüfbarkeit hinsichtlich der herangezogenen Primär- und Sekundärquellen und genügt damit den hohen Anforderungen wissenschaftlicher Standards.
Abgerundet wird die gelungene Abhandlung durch mehr als einhundert Notenbeispiele, welche für die vorliegende Buchpublikation neu gesetzt wurden. Die angenehm proportionierte Größe, die Präzision des Notensatzes und die Erläuterungen unter den Notenbeispielen erhöhen zusätzlich die Nutzerfreundlichkeit des Bandes.
Bernd Wladika


