Forner, Johannes

“In Leipzig war’s aber doch am schönsten”

Johannes Brahms und seine Beziehung zu Leipzig

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Friedrich Hofmeister, Leipzig 2007
erschienen in: das Orchester 10/2008 , Seite 59

Der Titel des Brahms-Buchs von Johannes Forner klingt wie ein in Stein gemeißeltes Liebesbekenntnis des Wiener Meisters zur Stadt an der Pleiße. Doch Brahms und Leipzig, das war – wie Forner nahe legt – alles andere als eine ungetrübte Liebe. Schon wenn man das Titelzitat, das aus einem Brief an die geliebte Clara Schumann stammt, zu Ende liest, wird deutlich, dass hier etwas anderes gemeint ist: „In Leipzig war’s aber doch am schönsten – das macht […] vor allem, dass Du da warst!“
Die Leipziger Brahms-Rezeption ist noch nicht grundlegend ausgewertet worden, zumindest nicht in der Weise, wie der Musikwissenschaftler Johannes Forner es hier unternimmt. 1987 hatte er bereits eine Publikation zum Thema vorgelegt, und nun konnte er endlich der Tatsache Rechnung tragen, dass die Spuren von Johannes Brahms vermutlich in keiner anderen deutschen Stadt so gut dokumentiert sind wie in Leipzig. Warum? Leipzig war und ist eine große Musikstadt und durfte im 19. Jahrhundert als Hauptstadt der Musikzeitungen gelten.
Bezeichnend ist, dass nicht ein Konzert, sondern ein Artikel den Namen Brahms bekannt machte. Schumanns Text „Neue Bahnen“ erschien 1853 in der berühmten Neuen Zeitschrift für Musik und kündigte Brahms prophetisch als den kommenden Komponisten an. Dem damit aber keineswegs der Weg geebnet war, schon gar nicht in Leipzig. Vielmehr war der Artikel eine schwere Hypothek, die der junge Hamburger mühsam einlösen musste. Anfänglichen kleinen Erfolgen, ersten Veröffentlichungen seiner Werke beim Leipziger Verlag Breitkopf & Härtel folgte 1859 mit der Aufführung des ersten Klavierkonzerts d-Moll die vielleicht größte Niederlage seines Künstlerlebens. Zu kompliziert, zu sinfonisch schien dem Publikum ebenso wie der Fachkritik das opulente Werk – das Brahms, ein guter Klavierspieler, aber kein Jahrhundertvirtuose, obendrein selbst spielte.
Hinzu kamen Probleme, die Johannes Forner (immerhin ehemaliger Chefdramaturg des Gewandhauses) beinahe unbarmherzig als Grundübel der Leipziger Konzertkultur bis zum Ende des 19. Jahrhunderts brandmarkt: Die Programme waren viel zu lang und bunt, das Gewandhausorchester von konstant wechselhafter Qualität und die Probenbedingungen ungenügend. Nur selten standen für eine Aufführung mehr als zwei Proben zur Verfügung. Kein Wunder, dass Brahms bei fast allen seinen Uraufführungen um Leipzig einen Bogen machte.
Seine Position jenseits von Neudeutschen und Konservativen war nicht gerade einfach, doch spätestens 1869 brach sich mit der Aufführung des Requiems die Macht seiner Musik auch in Leipzig Bahn, wo er viele Freunde hatte und von Jahr zu Jahr mehr Aufführungen und mehr Erfolg genießen konnte. In den 1890er Jahren war er endgültig zum Klassiker geworden.
Es zeichnet den Autor aus, dass er die akribisch gesammelten Fakten nicht nur zusammen stellt, sondern auch gut lesbar aufbereitet, vor Wertungen nicht zurückscheut und sowohl den sozio-kulturellen als auch den musikalischen Hintergrund fundiert zu beleuchten weiß. Ein Gewinn für die Brahms-Forschung und die Leipziger Musikgeschichtsschreibung.
Johannes Killyen

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