Frauchiger, Urs

In Betrachtung des Mondes

Erzählungen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Huber, Frauenfeld 2006
erschienen in: das Orchester 02/2007 , Seite 83

Gemälde, so will es scheinen, eignen sich nicht nur als Objekte ästhetischer Betrachtung, sondern auch als literarisches Sujet: Urs Frauchigers Erzählung In Betrachtung des Mondes spielt an auf das Gemälde von Caspar David Friedrich Zwei Männer in Betrachtung des Mondes – ein Kleinod romantischer Landschaftsmalerei. Handlungsorte sind das Ascona einer Monte-Verita-Generation, die inzwischen Patina angesetzt hat, und das Dresdner Albertinum zu Zeiten herb-knochiger DDR-Genossinnen; Requisiten sind – selbstverständlich – das Gemälde, das gleich zweimal gestohlen wird, sowie zweckentfremdete Rucksäcke (für den Bilderdiebstahl) und einige Pistolen.
Die Geschichte ist mit kräftigem Augenzwinkern erzählt und der Autor hat Freude daran, verschiedenste literarische Genres zu bedienen und miteinander zu mischen. Die Krimihandlung gesellt sich zur Politsatire, das literarische Quiz wechselt ab mit ironischer Kulturphilosophie, groteske Psychologie mit einer Stasi-Verhör-Groteske. Angesichts solcher Mixturen ist die Erzählweise festgelegt: rasantes Tempo, häufiger Szenenwechsel, filmische Schnitte, knappe Dialoge, manches Mal bewusste Schnodderigkeit.
Offenheit des Erzählens mag man das nennen – dem einen Leser dürfte es ein wenig zu viel, dem anderen gerade recht sein. Was in dieser ein wenig postmodern anmutenden Handlungsinszenierung gut herauskommt, sind vor allem die Atmosphäre der ständigen Stasi-Bespitzelung im DDR-Alltag – eine Überwachung, die sich interessanterweise im Tessiner Luxuswillendasein bruchlos wiederholt – und die Atmosphäre der Beziehungslosigkeit zwischen den in Beziehung stehenden Personen. Was überraschenderweise nicht so zur Geltung kommt, ist der stille Hauptakteur der Geschichte: das Gemälde selbst. Obwohl ständig präsent und gegen Ende der Handlung kräftig seine Betrachter Wim und Kräuchi in den Bann ziehend, ist in der ansonsten so vielschichtig angelegten Erzählung keine Klangfarbe für die spezifische Romantik eines Caspar David Friedrich übrig – so recht wird das Bild selbst nicht zum Sprechen gebracht.
Ansonsten wird recht viel gebrüllt in der Geschichte – vielleicht hat das den Verlag bewogen, ihr drei Kurzerzählungen beizufügen, in denen es einmal um Musik- und Straßenlärm und zweimal um Mozart geht. Der erste Mozart-Text erzählt eine fiktive filmische Begegnung zwischen Wolferl und Michael Jackson, bei der sich beide auch über die Probleme austauschen, die sie mit ihren Vätern haben (Vater Leopold posaunt immer noch sehr hörbar durchs All). Ansonsten erfährt man, dass Michael im Wolferl gar einen „Bruder“ erkennt und ihn „durchschaut“, was einen zu der bedenkenswerten Einsicht veranlasst, dass der Jackson-Michael offenbar klassische Orchesterpartituren schreiben kann. Es lebe Hollywood. Der andere Teil des Mozart-Diptychons erzählt die Geschichte eines Mozart-Bildes, das in Paris gemalt und auf verschlungenen Pfaden seine Heimat über dem Kaminfeuer in einem portugiesischen Palacio gefunden hat. C’est tout.
Eröffnet wird der Erzählband von einem kabarettistischen Text, der auf feinsinnige polizeirechtliche Distinktionen in der Welt der Geräusche und Töne verweist: Bach-Cellosuiten finden sich da unter der Rubrik Ruhestörung wieder, während ohrenzerfetzender Baggerlärm zulässig ist. Welche, so fragt sich der Rezensent selbst, der Geschichten ihm am besten gefalle? Antwort: die unaufgeregteste, ohne Handlungsplot daherkommende – die über das Mozart-Bild mit dem Titel Mozart exécutant son Requiem.
Winfried Rösler